Glaube: Ich habe einen Traum…

Ich habe einen Traum.

Einen Traum von einem leidenschaftlichen und weltoffenen Glauben. Der Freiheit schenkt. Der mich atmen lässt. Der Türen aufstößt, wo immer sie Wege versperren zwischen Menschen. Der das entfaltet, was in uns angelegt ist. Der das Leben feiert mit all seinen schönen, bunten, großartigen und schrägen Möglichkeiten. Bei dem Gott im Mittelpunkt steht und nicht am Rand als Aufpasser des Erlaubten.

Ein Glaube, der dabei nicht nur Theorie bleibt hinter den Pforten unserer Kirchen und Gemeindehäuser, in den Sonntagsgottesdiensten um zehn und den Hauskreisen montags um acht. Sondern der unsere Leben formt, uns verändert, uns vorwärtstreibt im Alltag, in unseren Begegnungen mit Menschen, die wir mögen. Und mit denen, die wir nicht mögen.

Der uns antreibt, utopische Dinge zu tun: Selbstlos zu lieben. Über uns hinaus zu blicken. Für die Geknechteten zu kämpfen. Die andere Wange auch noch hinzuhalten, wenn man uns schlägt. Und die Schulter anzubieten, damit sich jemand daran anlehnen kann.

Ein Glaube, der in uns so brennt, dass wir gar nicht anders können als diese Welt zu einem wärmeren und besseren und freieren Ort zu machen. Einfach, weil wir da sind und uns lieben lassen und lieben und Freiheit schenken und für das Gute streiten. Jeder in seinem bescheidenen Rahmen. Und doch jeder als Teil der großen bunten Gemeinde Gottes aus Menschen, die wissen, dass sie dazu gehören. Oder die es nicht wissen – und es trotzdem tun.

*

Doch wie kann das gehen?

Müsste dieser Glaube nicht – um wahr zu werden – uns die Angst nehmen? Die Angst, die unserer aller Fühlen und Handeln so oft bestimmt, wenn wir ehrlich sind. Die Angst davor, den Erwartungen der Anderen, der Gesellschaft, der Gruppe, unserer (Ehe)partner nicht zu genügen? Die ultimative Angst, fallen gelassen zu werden, wenn die anderen wüssten, wie es in uns aussieht, was wir fühlen, wonach wir uns sehnen, woran wir zweifeln und wen wir wie lieben?

Müsste dieser Glaube uns nicht die Angst davor nehmen, offen und ehrlich zu sein mit unseren Abweichungen von der allgemeinen Erwartung, mit unseren Eigenarten, Kuriositäten, Vorlieben, Sehnsüchten und Hoffnungen? Und einen Raum schaffen, in dem das möglich ist?

Denn die Wahrheit macht frei, sagt Jesus. Unsere Verstellungen aber, das Ungesagte, die kleinen Schwindeleien und die großen Lebenslügen genauso wie die schnellen Vermutungen übereinander, die am Ende zu engen Schubladen werden, machen krank. Doch wie oft spielen wir lieber mit oder etwas vor. Wie oft sind wir nicht ganz ehrlich, weil wir schon so oft verletzt wurden, wenn wir es waren. Oder andere verletzt haben, wenn wir es waren.

Doch je mehr wir uns etwas vorspielen und beim Vorspielen mitspielen, desto mehr entsteht eine Entfremdung, desto fester werden die falschen Bilder, die Wahrheit vorgaukeln und doch bequeme Lügen aufbauen, die einfach einzuordnen und mehrheitsfähig sind, aber Missgunst schüren und Distanz schaffen und irgendwann die verstummen lassen, die nicht der Mehrheit angehören. Weil sie nicht der Mehrheit angehören. Weil sie fürchten, was kommt, wenn sie ehrlich sind.

Und auch: Je mehr wir das tun in unseren Beziehungen, je mehr Unausgesprochenes wir zwischen uns anhäufen, je öfter wir etwas verschweigen oder nicht ganz so ehrlich sind, desto schwerer fällt es, dann ehrlich zu sein, wenn es endlich nötig wäre. Weil wir uns in der Zweisamkeit vielleicht doch einsam fühlen. Weil wir fürchten, was kommt, wenn jetzt – nach dem vielen Ungesagten – plötzlich alles auf einmal ans Licht kommt.

*

Aber was sind das für Kirchen, für Freundschaften, für Ehen, in denen wir Angst haben müssen, miteinander ehrlich zu sein? In denen wir Angst haben müssen, abgelehnt zu werden, weil wir uns nicht (mehr) verstellen? Weil wir offen zugeben, was wir fühlen und wonach wir uns sehnen, woran wir zweifeln und wen wir wie lieben? Woher kommt es, dass wir Angst voreinander haben, obwohl wir uns alle von Gott geliebt wissen – und theoretisch auch voneinander? Woher kommt die Angst, verlassen und fallen gelassen zu werden? Und wer könnte eigentlich etwas an dieser Angst ändern?

Vielleicht müssen wir anders fragen: Was sind das für Kirchen, für Freundschaften, für Ehen, in denen wir Angst davor haben müssen, dass wir selbst anders reagieren als mit den ewig gleichen destruktiven Stereotypen: Auf das, was wir nicht verstehen, mit Skepsis. Auf das, was wir nicht mögen, mit Ablehnung. Auf Zweifel mit Antworten. Oder Resignation. Auf den Wunsch nach Freiheit mit Eifersucht. Auf Enttäuschung mit Härte. Auf Kritik mit Verteidigung. Auf Versagen mit Verurteilung. Das sind wir gewohnt, das fällt leicht und irgendwie entspricht es den Erwartungen.

Ich träume von einem Glauben, der uns die Kraft und die Freiheit schenkt, anders zu reagieren: Vielleicht auf das, was wir nicht verstehen, mit Neugier. Auf das, was wir nicht mögen, mit Milde. Auf Zweifel mit Zuhören. Auf den Wunsch nach Freiheit mit Vertrauen. Auf Enttäuschung mit Ehrlichkeit. Auf Kritik mit Dankbarkeit. Auf Versagen mit Vergebung.

Ich träume von Kirchen, Freundschaften und Ehen, in denen wir offen und ehrlich sein können, weil wir keine Angst haben müssen, verurteilt oder fallen gelassen zu werden für das, was wir fühlen und wonach wir uns sehnen, woran wir zweifeln und wen wir wie lieben.

So ein Glaube, der das schafft, der uns frei macht und atmen lässt und unsere Leidenschaft feiert, weil er einen Raum ohne Angst schafft, in dem wir einander aus Liebe Freiheit schenken, so wie Gott das jeden Tag tut – von so einem Glauben träume ich.

*

Die gute Nachricht: Er kann wahr werden. Und es liegt in unserer eigenen Hand. Nicht weil wir zuerst den Mut aufbringen müssten, ehrlich zu sein, wo wir Angst haben vor der Reaktion der anderen. Und uns verletzlich machen müssten, ohne uns sicher zu fühlen. Sondern indem wir anfangen, selbst anders zu reagieren als mit den ewig gleichen destruktiven Stereotypen. Wenn wir anfangen, die nicht zu verurteilen, die wir nicht verstehen oder nicht mögen, die uns enttäuschen oder kritisieren. Weil wir anfangen, Vertrauen zu schenken, Milde und Neugierde.

Je mehr wir das machen, Schritt für Schritt, eine Situation nach der anderen, kann eine Atmosphäre entstehen, in der wir nicht mehr so viel Mut aufbringen müssen, um selbst ehrlich zu sein.

Eine Atmosphäre, in deren Mitte Gott steht. Der uns als erstes geliebt hat. Der uns zuerst vertraut hat, in dem er uns überhaupt in diese Welt entließ mit all dem, was uns ausmacht und all dem, worin wir wachsen können. Und der uns nicht verurteilt für das, was wir fühlen und wonach wir uns sehnen, woran wir zweifeln und wen wir wie lieben.

Weil er uns zuerst geliebt hat, können wir einander lieben, uns vertrauen, offen miteinander sein, ehrlich, milde, neugierig und dankbar. Und daran scheitern und es nochmal versuchen.

Das ist Freiheit und bringt Freiheit. Das ist der Glaube, von dem ich träume.

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Kommentare

8 Kommentare auf "Glaube: Ich habe einen Traum…"

  1. Katta says:

    Sehr lesenswert❣Ich träume mit und mit Jesu Hilfe gelingt es uns auch, jeden Tag ein Stückchen mehr, diesen in Gott verwurzelten Glauben aus ganzem Herzen zu leben❣
    In Seiner Liebe verbunden,
    Katta ☺

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  2. bithya85 says:

    Und ich glaube, es ist möglich. Jedenfalls in Ansätzen. Ich bin leider etwas zu perfektionistisch und danke schnell, dass sich alles sofort ändern müsste. Aber im ganz Kleinen kann man doch Veränderungen sehen.

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  3. Thomas says:

    Ich komme ursprünglich aus einer Kirchengemeinde, wo genau das Gegenteil getan wird. Augenwischerei, so tun als wäre alles im Lot. Mit 27 Jahren habe ich diese Gemeinde verlassen, weil ich angefangen habe zu verstehen, dass Gott uns MIT unseren Schwächen und Sünden liebt.

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    • bithya85 says:

      Kenne ich. So Gemeinden gibt’s hier auch genug. Wird zwar in der Theorie richtig gelehrt, aber in der Praxis sieht es leider anders aus. Naja, vielleicht kann man es nicht „erzwingen“, jeder muss es auf seine Weise lernen. Umso besser, dass es auch hilfreiche Gemeinden und Kirchen gibt.

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    • Gary says:

      @ Thomas
      @ Bithya85
      Seid ihr sicher, dass ihr den Artikel richtig deutet, interpretiert?

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      • bithya85 says:

        Nein, bin ich nicht 😀 Ich kann mich ja auch immer irren. Hab auch meine selektive Wahrnehmung und so weiter. Aber ich hab den Artikel eben so verstanden. Wie hast du ihn verstanden?

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  4. Thomas Jakob says:

    Danke für diesen Beitrag! Ich teile diesen Traum. Und wenn ich mir die Bergpredigt durchlese und wie Jesus generell mit Menschen umgegangen ist, dann finde ich da den Kern dieses Traums wieder.

    Allerdings finde ich bei Jesus und gerade in der Bergpredigt auch noch Anderes. Z. B. ethischen Rigorismus und Gerichtsdenken. Ich glaube nicht, dass man diese Aspekte ignorieren kann. Und Kirche und Ehrlichkeit? Da sehe ich ein großes Problem. Man glaubt Kirche, dass sie sozial, hilfsbereit und sympathisch ist, aber nicht, dass sie ehrlich ist. Wenn sie mit allen möglichen dialektischen Mitteln ihre Wundergeschichten gegen naturwissenschaftliche Kritik verteidigt, erweckt sie den Eindruck, dass sie nicht die Wahrheit sucht, sondern nur recht behalten will. Das kostet die Glaubwürdigkeit.

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  5. Auf’n Kaffee mit Rolf Krüger - Uwe Hermann - Einfach leben... says:

    […] In einem Artikel beschreibt er seinen Traum von einem Glauben, den ich gut teilen kann und der zum Ausdruck bringt, in welcher Weise er seine Artikel schreibt: “Ich habe einen Traum. Einen Traum von einem leidenschaftlichen und weltoffenen Glauben. Der Freiheit schenkt. Der mich atmen lässt. Der Türen aufstößt, wo immer sie Wege versperren zwischen Menschen. Der das entfaltet, was in uns angelegt ist. Der das Leben feiert mit all seinen schönen, bunten, großartigen und schrägen Möglichkeiten.” (Hier klicken) […]

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