Über Gottes Idee, alles wachsen zu lassen, über Umwege und über die Folgen, die es hat, wenn konservatives Denken vor allem die Vergangenheit retten will.
Schon Teil 1 und Teil 2 dieser Serie gelesen?
Als Christen gehen wir davon aus, dass Gott der Schöpfer dieser Welt ist. Und wir glauben, dass Gott sich etwas bei der ganzen Sache gedacht hat.
Aber was könnte das sein? Den Sinn des Lebens zu ergründen ist schon oft versucht worden – meist mit zweifelhaftem und stets mit subjektivem Erfolg. Beobachten allerdings können wir die Schöpfung recht objektiv: Und dann sehen wir Wachstum und Weiterentwicklung tief in ihrer DNA verankert.
Alles entwickelt sich
Nichts ist einfach da, alles wächst und entwickelt sich. Persönlich und global. Tiere und Menschen entwickeln sich aus einer befruchteten Eizelle, jede Pflanze entsteht aus einem Samenkorn. Wir Menschen werden als kleine Bündel geboren, wachsen heran und lernen im besten Falle Zeit unseres Lebens dazu.
Aber das Konzept „Entwicklung“ greift eben auch weit über das Individuum hinaus. Das Universum hat sich, nach allem was wir wissen, aus einer einzigen Explosion entwickelt und dehnt sich immer weiter aus. Die komplexen Lebewesen, die heute die Erde bevölkern, entwickelten sich aus jeweils einfacheren Formen bis hin zum Menschen.
Die ganze Menschheit lernte nach und nach, die Natur zu meistern und sich die Elemente immer besser nutzbar zu machen: von der Steinzeit über die Bronze- zur Eisenzeit. Man entdeckte das Feuer, das die Nutzung von Metallen erst ermöglichte, dazu die Wasserkraft und schließlich die elektrische Energie, die völlig neue Perspektiven eröffnete.
Heute laufen wir mit dem Wissen der Welt in der Tasche herum und sind mit der Entwicklung noch lange nicht am Ende. Gott hätte Internet und iPhone ja auch gleich miterschaffen können – hat er aber nicht. Wir Menschen mussten es uns erarbeiten. Und in spätestens 20 Jahren werden wir über das schmunzeln, was wir heute so toll finden.
Genau das gleiche gilt für die menschliche Gemeinschaft: Aus Familien und Stämmen entwickelten sich Völker, Städte wuchsen, Reiche entstanden, die Demokratie wurde im antiken Griechenland geboren und hat sich nach einer längeren Pause in unserer Zeit endgültig durchgesetzt (zumindest in den meisten Ländern). Es gibt heute keine legale Sklavenhaltung mehr und in großen Teilen der Erde herrscht Meinungsfreiheit.
Nicht alles Neue ist gut
Viele diese Entwicklungen haben Sonnen- und Schattenseiten. Die Metallverarbeitung brachte ganz neue Möglichkeiten der Landwirtschaft, aber mit ihr wurde auch die Stammesfehde zum Krieg. Die moderne Industrie brachte viele Erleichterungen, aber unsere Umwelt ist gefährdet und Menschen werden von ihr ausgebeutet.
Doch im Großen und Ganzen denke ich, dass wir „Gesellschaft“ im 21. Jahrhundert überwiegend besser hinkriegen als zum Beispiel im alten Rom, im mittelalterlichen Europa oder auch in der frühen nordamerikanischen Gesellschaft. Wir sind auch dank der christlichen Tradition und ihrer Einflüsse so weit gekommen, auch wenn noch lange nicht alles gut ist.
Für Bewahrung, Gestaltung und Ausbau dieses Gartens ist der Mensch von Gott eingesetzt – eigenverantwortlich und nur mit einem vagen Auftrag.
Sicher spielt der Mensch bei der Weiterentwicklung der Schöpfung durch seinen Geist und seine Fähigkeit zur Selbstreflexion und Anpassung eine besondere Rolle. Vor seinem Auftreten auf der Weltbühne waren die Entwicklungsschritte mehr Ergebnis zufälliger Veränderungen, die einem Lebewesen einen Vorteil gegenüber seinen Artgenossen oder einer anderen Spezies brachte. Mit dem Homo Sapiens entwickelten sich bewusste Forschung und eine endlose Serie von technischen Erfindungen, was uns in erdgeschichtlich kurzer Zeit an die Schalthebel der Welt katapultierte.
Das brachte uns eine hohe Verantwortung. Die Urgeschichte der Bibel beschreibt das mit dem eindrücklichen Bild eines Gartens. Für Bewahrung, Gestaltung und Ausbau dieses Gartens ist der Mensch von Gott eingesetzt – eigenverantwortlich und nur mit einem vagen Auftrag.
Umwege und Rückschläge
Dass wir diese Rolle nicht immer weise ausfüllen, wissen wir. Und dass nicht alles Neue besser ist, liegt auf der Hand. Es gibt Umwege und Rückschläge. Ein Baum wächst und wenn er dabei auf ein Hindernis stößt, nimmt sein Wachstum einen Umweg. Heraus kommen wundervoll bizarre Kunstwerke.
Ein Kind probiert aufzustehen und fällt hin, probiert es erneut – etwas anders – und lernt so, zu laufen. Ein Maler versucht sich erst an unzähligen Skizzen, bevor ihm das endgültige Bild plötzlich vor Augen steht und er mit dem letztendlichen Werk beginnt (von dem er vielleicht da noch gar nicht weiß, dass es das endgültige ist).
Versuch, Scheitern, neuer Versuch. In die DNA der Welt scheint eine Art von „try, fail, try again“ fest verwoben zu sein. (Was die spannende Frage aufwirft, ob wir als Menschen vielleicht die primäre Aufgabe von unserem Schöpfer bekommen haben, hierbei ein ausgleichendes Moment zu sein: Liebe kennt keine Fehler und kein Lebewesen auf Erden sollte sich als Fehler der Natur empfinden müssen. Unreflektiertes „trial & error“ ohne bewusstes Korrektiv ist destruktiv. Kommt hier der Mensch ins Spiel? Aber das ist ein anderes Kapitel…)
Manchmal geht die Entwicklung auch eine ganze Zeit lang rückwärts, bevor es wieder besser wird. Der islamistische Terror unserer Tage zählt sicher genauso zu diesen Rückwärtsbewegungen wie unsere christlichen dunklen Jahrhunderte.
Und wenn das Böse auch eine Zeitlang das Kommando übernimmt, so wird es irgendwann über seine eigenen Sünden fallen – und die Menschheit wird etwas dazu gelernt haben.
Wir brauchen gar nicht so weit weg zu blicken. Nehmen wir nur die Energiepolitik: Wir beuten in den letzten Jahrzehnten die Erde aus und gefährden sie: Fossile Energieträger, Kernenergie, Abgase. Wir erkennen aber langsam, dass das so nicht weitergehen kann.
Sind Strom und die Nutzung fossiler Energieträger zu dessen Erzeugung ein Fortschritt? Ja. Gibt es dabei Probleme? Ja! Werden wir deshalb eine bessere Technik entwickeln, die uns Energie liefert, ohne die Erde auszubeuten? Ja. Und wir sind ja schon dabei.
Ich wäre natürlich wie wir alle lieber direkt am Ziel. Aber so läuft es offensichtlich nicht in Gottes Welt.
Brauchten wir diesen Zwischenschritt, um umweltfreundliche Energiequellen zu finden? Vermutlich ja. Vielleicht ist dieser Prozess teuer und schmerzhaft.
Aber er wird stattfinden und am Ende ist die Menschheit einen wichtigen Schritt weiter. Ich wäre natürlich wie wir alle lieber direkt am Ziel. Aber so läuft es offensichtlich nicht in Gottes Welt. Darüber können wir uns ärgern. Und deswegen schmollen. Oder es einfach akzeptieren und die Herausforderung annehmen.
Entwickelt sich unsere Erkenntnis von Gott weiter?
Gilt das auch für unsere Erkenntnisse von Gott? Wissen wir heute manche Dinge besser als früher? Können wir sogar sagen: Wir können heute guten Gewissens manche Aussagen des Alten Testaments korrigieren, so wie das Neue Testament manche Aussagen des Alten Testaments korrigiert hat? Progressive Theologie meint: Ja. (Wer von uns hält schon Sklavenhaltung für Gottes Ideal, auch wenn in der gesamten Bibel dieses System mit keinem Wort infrage gestellt wird?)
Natürlich: Zumeist sind wir es, die sich von Aussagen des AT und NT korrigieren lassen müssen. Gar keine Frage. Auf seltsame Weise legen die biblischen Texte durch die Jahrhunderte bis heute immer wieder eine überraschende Aktualität an den Tag, die uns beschämt erkennen lassen: Wir sind die, die an vielen Punkten gegenüber dieser Weisheit noch zu lernen haben.
Und doch können und müssen wir zweierlei immer wieder prüfen: Haben wir das, was die biblischen Autoren sagen wollen, wirklich erfasst? Oder plappern wir eigentlich nur nach, was Menschen in 2000 Jahren Tradierungsgeschichte aus den Texten gemacht haben?
Und zweitens: Ist die damalige Sichtweise der biblischen Autoren noch auf die heutigen Umstände und gesellschaftlichen Realitäten passend? Progressive Theologie ist überzeugt: Paulus würde nicht wollen, dass wir alle seine Weisungen in unserem Kontext blind 1:1 umsetzen.
Die Rettung der Vergangenheit
Stattdessen können – und aus meiner Sicht müssen – wir die Zukunft in den Blick nehmen: Die volle Gleichberechtigung von Mann und Frau in Kirche und Gesellschaft (Gott schuf sein Ebenbild männlich und weiblich), Anerkennung und Integration von Lebensentwürfen jenseits der klassischen heterosexuellen Ehe, Bewahrung der Schöpfung vor menschlicher Habsucht und Bequemlichkeit, gerechte Verteilung von Rohstoffen und Lebensmitteln auf dem Erdball, Hilfe und Heimat auf Zeit für Menschen, die vor Krieg und Hass bei uns Zuflucht suchen.
Mit der Globalisierung haben wir plötzlich alle Werkzeuge dazu in der Hand. Diese Themen aber sind in der konservativen Theologie klassischerweise kein großes Thema, weil sie damit beschäftigt ist, ein vergangenes Ideal zu bewahren oder wiederherzustellen. Das ist ihr großes Dilemma. Kein konservativer Christ begrüßt Umweltzerstörung, globale Ungerechtigkeit oder Gewalt gegen Flüchtlinge. Und oft engagiert man sich auch punktuell.
Strukturell bleibt die Rettung der Gegenwart meist in der zweiten Reihe, weil im Vordergrund die Rettung der Vergangenheit steht.
Aber strukturell bleibt die Rettung der Gegenwart meist in der zweiten Reihe, weil im Vordergrund die Rettung der Vergangenheit steht. Sobald ein „Konservativer“ aus diesem Schema ausbricht und sich den brennenden Themen der Welt zuwendet – was zurzeit interessanterweise viele Evangelikale tun – rückt die Bewahrung der vergangenen Ideale Schritt für Schritt in den Hintergrund und so mancher findet sich plötzlich auf zutiefst liberalen Positionen wieder.
Kürzlich sagte ein konservativer evangelikaler Christ zu mir, nachdem jemand aus seinem Umfeld schlecht über den Bau einer Moschee gesprochen hatte: „In letzter Zeit fühle ich mich manchmal richtig links. Und ich muss sagen: Es fühlt sich gut an!“.
Was er eigentlich meinte war seine Erfahrung, dass Glaube sich weiter entwickelt, dabei seine Enge verliert und wider erwarten nicht die Angst einsetzt, Gott gegenüber damit untreu zu werden. In diesem Fall war es der Blick auf Menschen mit anderem Glauben. Er spürte, was passiert, wenn die Liebe das übliche Denkmuster aufweicht und man schließlich registriert, dass man sich innerlich geweitet hat. Er ist deswegen kein liberaler Christ geworden. Aber vielleicht ein wenig progressiver als zuvor.
Weiterlesen: Teil IV – und damit das Finale – über Gottes Willen, den Wert des Heute, die neue Gesetzlichkeit und warum Jesus und Paulus ziemlich progressiv waren.
Kommentare
6 Kommentare auf "Leidenschaftlich & offen glauben (III): Die DNA der Schöpfung"
Eine hoffnungsvolle und für mich nachvollziehbare Darstellung einer guten Entwicklung von Glaube und Mensch.
Vielen Dank!
Alles oder jedenfalls das Meiste , wie es im Bericht geschrieben wurde, auch z. B. Rückschritte im Leben , wie bei Entwicklungen, muß nicht nur der einzelne Mensch sondern mußte auch ein ganzes Volk selbst erfahren. So mußte das Volk Israel beim Auszug aus Ägypten immerhin erst 40 Jahre durch die Wüste ziehen, bis Gott ihnen das heute so gelobte , aber immer noch vom Krieg geplagte Land übereignete !
Hallo Rolf,
dein Beitrag beschreibt die Welt und die Menschheit auf einem fortschreitenden Weg hin zum Besseren. Die genannten Beobachtungen aus der Natur und auch der Blick auf Teile der Menschheitsgeschichte lassen diesen Schluss ja durchaus zu.
Aber wo landen wir, wenn wir das linear für die Zukunft weiterdenken? Beim „Himmel auf Erden“ inklusive voller Gotteserkenntnis?
Gibt es einen Punkt, ab dem die sogenannte „gefallene Welt“ dann nicht mehr „gefallen“ ist?
Ich stimme dir zu, die Welt entwickelt sich irgendwie weiter.
Andererseits denke ich nicht, dass der Mensch an sich „besser“ geworden ist, trotz Abschaffung der Sklaverei, Einführung der Menschenrechte, Demokratie usw. … In uns schlummert noch der gleiche Barbar wie einst, und dank unseres segensreichen technischen Fortschritts sind wir nur einen Knopfdruck davon entfernt, uns in längst überwundene Entwicklungsphasen zurückzukatapultieren.
Die konservative Theologie jedenfalls sieht die Welt als hoffnungslos verloren an und eher auf dem Weg hin zum Schlechten – bis Gott dann endgültig und schlagartig eingreift und eine neue, andere und endgültig gute Schöpfung schafft.
Bei dir hört es sich so an, dass dieser Prozess der Neuschöpfung auch „schleichend“ und „evolutionär“ vonstatten gehen könnte. Oder verstehe ich dich jetzt völlig falsch?
Hallo Andreas,
ja, du verstehst mich richtig. Das ist ja auch ein Grund, warum ich kein Freund konservativer Theologie bin. 🙂
„Gefallene Welt“ ist übrigens ein Theologisches Konzept – die Bibel selbst spricht nicht davon. Dieses theologische Konzept geht von einem starken Dualismus aus und davon, dass die Schöpfungsgeschichte zeitlich im Sinn von „vorher“ und „nachher“ zu verstehen ist, nicht im Sinne von Ursache und Konsequenz. Folglich spricht man dann vom
„Sündenfall“. Das ist aber kein Begriff, den die Bibel verwendet.
Sicherlich werden wir auf Erden nie volle Gotteserkenntnis haben. Gott ist schließlich nicht Teil der Schöpfung und für uns entsprechend nicht erfassbar. Trotzdem kann man sich ja annähern 🙂
Liebe Grüße,
Rolf
Ich teile ja in vieler Hinsicht Deine Ansichten. Etwas zögerlich wird das im Blick auf den Fortschrittsgedanken. Der ist ja auch eine typisch moderne (und typisch liberale) Idee. Ich glaube schon auch, dass in einer zunehmend komplexen Welt auch unser Glaube und unser Bild von Gott komplexer werden muss und darf. Ich bin mir nur nicht sicher, ob das eine Einbahnstraße ist oder eine (wenigstens unter dem Strich und auf Dauer betrachtet) aufsteigende Tendenz. Mir reicht es eigentlich schon, wenn wir ehrlich genug sind, uns einzugestehen, dass wir das Evangelium immer rekontextualisieren und dass wir das auch dann tun, wenn wir es bestreiten und verleugnen, weil man es gar nicht nicht tun kann. Die Frage, ob dann die jeweiligen Kontextualisierungen in ein lineares Fortschrittskontinuum einzeichnen lassen oder nicht, darf für mich gern offen bleiben. Aber vielleicht meinst Du das ja auch so.
Jeder Einzelne fängt bezüglich Glaube irgendwann absolut bei Null an. Mit Sicherheit gibt es aber auch ein kollektives Bewußtsein, einen theologischen Wissensschatz, der sich menschenfreundlich kontinuierlich erweitert. Das Wissen der Aufklärung wäre etwas Vergleichbares.
Was Rolf beschreibt, erfüllt mich mit großer Hoffnung, die durch viele dunkle Kapitel jemals praktizierter Theologie hindurch leiten kann.
Ob ein solch konstruktives kollektives Bewußtsein im Hier und Jetzt allen Menschen zuteil werden kann, ist eine andere Frage, die eher mit nein zu beantworten ist.
Hinterlasse eine Antwort auf den Artikel
Die Datenschutzerklärung findest du hier.