Was ist schon SCHØN? Zwei Thesen zu Kunst zwischen Prophetie, Deko und Bling-Bling

Johannes Hartl ruft für die anstehende SCHØN-Konferenz zur Challenge auf: Bloggen, posten, youtuben zum Thema „Was ist schön?“. Ich nehme die Herausforderung an, frage allerdings (schön künstlerisch subversiv): „Was ist schøn?“

Als ich zum ersten Mal hörte, dass eine christliche Konferenz zum Thema Kunst geplant ist, war ich angetan: Viel zu kurz kommt Kunst (jenseits von Musik) in christlichen Gemeinden. Kreativität ist ein Geschenk Gottes an diese Welt, nicht zuletzt weil wir Christ*innen glauben, dass Gott selbst als Schöpfer der Quell aller Kreativität ist. Kunst hilft der Menschheit, sich auszudrücken, und half auch der Christenheit Jahrhunderte lang dabei. Einzig in der Kirche des 20. und 21. Jahrhunderts ist Kunst (jenseits von Musik) ziemlich in Vergessenheit geraten.

Aber ich sah mir den Konferenz-Trailer und die Website an und zusätzlich zu der lächerlich geringen Anzahl an Frauen im Programm (jenseits von Musik) störte mich irgendetwas an der Konferenz. Nur was genau, wusste ich nicht. Inzwischen ist es mir klar geworden – und vielleicht ist es eine Diskussionsgrundlage für das Gespräch in Augsburg über „Was ist schøn?“:

These 1: Kunst = Spiritualität = Kunst

Zum Ersten ist es die ausdrückliche Gegenüberstellung von Spiritualität und Kunst in der Konferenzbeschreibung: „Spiritualität trifft Kunst“ heißt es da. Als wären das zwei getrennte Sphären, die sich treffen könnten, ja, die man erst mühsam zusammenbringen müsste, weil sie sich von alleine kaum fänden. „Und beide lernen durch die Begegnung“ heißt es weiter, so als könne das eine ohne das andere überhaupt existieren.

Für mich ist Kunst bereits tiefste Spiritualität und Spiritualität immer schon innerer Ausdruck von dem, was uns bewegt. Egal, ob es um Liebe, tiefe Existenzfragen oder Themen der Gegenwart geht – Kunst beschäftigt sich meist mit Dingen jenseits des direkt Sichtbaren: Mit unserer Zeit, unserer Gesellschaft, unserer Kultur, dem Menschen an sich, unserem Miteinander, mit dem großen Ganzen und den Fragen nach dem „dahinter“. Nichts anderes ist Spiritualität. Kunst und Spiritualität sind zwei, die untrennbar zusammengehören und stets gemeinsam auf der Party erscheinen. Wenn wir beide getrennt denken, und wenn wir dann glauben, wir müssten sie irgendwie verheiraten, dann schaffen wir höchstens eine unglückliche Zwangsehe. Denn dann verheiraten wir zwei, die wilde Freiheit lieben und die doch nicht ohne einander können, zwei, die in Vielem eins sind, die aber miteinander nur ihre volle Kraft entfalten, wenn sie ohne Zwang beisammen sind, wenn sie umeinander tänzeln, sich umgarnen, sich anziehen und auf Distanz halten, sich necken und dann küssen, sich vereinen und wieder den Abstand suchen, wenn sie sich lieben und miteinander streiten und immer in Bewegung bleiben, weil sie zwar zwei sind, aber so untrennbar verbunden, dass sie nicht zu trennen sind, ohne dass beide sterben.

Dieses zweckfreie und doch zutiefst bedeutungsvolle Spiel um des Spieles willen, die Spannung, die Vielfalt, das alles liegt vielen Christen nicht in der DNA und nicht in der Theologie. Wo Gottesdienst, Gottesdienstbesucher und Gottesbild perfekte Inszenierungen sind, wo alles gestylt, schön und makellos sein muss, da ist kein Platz für wilde Freiheit, für wunderbare Unvollkommenheit, für den erotischen Tanz umeinander, für die Nacht mit ungewissem Ausgang. Da ist kein Platz für Unvorhergesehenes. Für radikale Umkehr von der bisherigen christlichen Sozialisation. Und vielleicht auch nicht für das Wirken des heiligen säuselnden Windes, der weht, wo er will.

These 2: Deko ≠ Kunst = Deko

Und das ist das Zweite: Die Konferenz heißt SCHØN. Kunst ist aber nicht vor allem schön. Neulich veröffentlichte @mathilda ein Gedicht mit dem Titel „Erotik des Stillens“ auf ihrem Blog und twitterte dann am nächsten Tag: „Irgendwie finden alle mein Stillgedicht verstörend.“ Mir kam sofort der Satz in den Sinn: Kunst muss verstören, sonst ist es Deko.

Ja, geht ruhig auf die Barrikaden, ihr Maler kitschiger Sonnenuntergänge, ihr Komponisten seichter Lobpreislieder! Zurecht dürft ihr protestieren angesichts eines solchen Satzes! Auch ihr seid Künstler im Sinne der KSK, auch eure Deko darf sich Kunst nennen. Auch Schönes darf selbstverständlich Kunst sein und Kunst darf selbstverständlich schön sein. Aber für viele Christ*innen und für eine SCHØN scheint Kunst vor allem schön sein zu müssen. „So richtig gut drauf“ solle sie sein, heißt es auf der Website. Aber Kunst in ihrer Höchstform ist nicht „richtig gut drauf“. Im Trailer zur Konferenz und auf der gesamten Website fehlt völlig die kritische, geradezu prophetische Rolle von Kunst, wenn sie aneckt, hinterfragt, aufwühlt, verstört. Eben nicht schön ist. Nicht in die Erwartungen passt. Etwas bewegen möchte. Gegenwehr und Hass auf sich zieht, weil Menschen sich verstört oder ertappt oder beides fühlen. Kunst mit Anspruch ist gefährlich — vor allem für den Status quo. Solche Kunst aber kommt nicht aus dem (Vorsicht, fieses Kunst-Wort um des Effektes willen, aber mit einem Körnchen Wahrheit!) Happy-Clappy-Gebetshaus-ICF-Hillsong-Bling-Bling. Sondern aus dem Rohen, dem Unfertigen, dem Ungeschliffenen, aus dem Leben jenseits der Masse, aus dem Gescheiterten, dem Schmerz.

Nicht umsonst sind wenige Künstler heteronormative Mittelklasse mit schnurgerader Vorzeige-Biografie. Es ist oft die Erfahrung des Andersseins als die Masse, die Erfahrung ausgegrenzt zu werden und trotzdem das Glück zu finden – vielleicht gerade in dem Grund für diese Ausgrenzung. Das prägt, gibt Tiefe und weckt den Wunsch, sich kreativ auszudrücken. Doch solcherlei Unorthodoxie ist in christlichen Kreisen mit klaren theologischen Richtigkeiten – noch dazu in denen mit viel Bling-Bling – selten gut gelitten. Zerbruch wird zelebriert, aber als notwendiges Übel, um den Menschen wieder bereit zu machen für Gottes Pläne der geistlichen Optimierung und Vervollkommnung. Man nennt das dann Heiligung. Aber in Wirklichkeit scheut man sich vor dem Ungezähmten.

Denn hinter der hippen Fassade steht oft ein zutiefst konservatives Gottes- und Menschenbild, das es nicht haben kann, wenn Themen oder Biografien lose Enden haben, nicht stimmig sind, von der (christlichen/evangelikalen/katholikalen) Ordnung abweichen. Sie sind Dekorateure, die die Zerrissenheit der Welt kaschieren, die Abweichung retuschieren und das Schräge begradigen. Weil Gott ein Deutscher ist, angestellt beim Institut für Normung.

Künstler dagegen leben von der Abweichung, sie schöpfen ihre Kreativität aus der Spannung, aus dem Spiel mit der Wirklichkeit, aus dem Unstimmigen, aus der offenen Suche, aus dem furchtlosen Schaffen von Neuem mit schlotternden Knien. Künstler arbeiten mit der Zerrissenheit der Welt und finden in ihr die Rohdiamanten für ihre Werke. Wo Dekorateure die Spannungen auflösen wollen, um die Welt schøn zu machen, schwitzen Künstler dafür, die Spannungen auszudrücken, sie auszuhalten und uns mit ihnen zu versöhnen. Weil sie andernfalls — einmal bewusst gemacht — selbst kaschiert für sie unaushaltbar blieben.

Schøner

Ich frage mich, ob die SCHØN es schafft, über ihren Namen hinauszuwachsen und der Kunst Raum zu geben, die sich um vermeintliche göttliche Normen nicht schert, nicht um Optimierung und nicht um geistliche Vervollkommnung. Sondern die echt ist, ungeschliffen, kantig und verstörend. Die den Finger in die Wunde legt und Dreck aufwühlt, die unbequeme Fragen stellt, die zum Skandal wird – in guter paulinischer Tradition, für den Evangelium immer aneckte. Auch im eigenen Stall. Das würde ich der Konferenz (und der christlichen Welt) wünschen. Das fände ich SCHØN.

#wasistschön

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Kommentare

15 Kommentare auf "Was ist schon SCHØN? Zwei Thesen zu Kunst zwischen Prophetie, Deko und Bling-Bling"

  1. Ulrich Wagner says:

    Sehr Schön!

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  2. Salome says:

    Sehr gut geschrieben! Sehe ich auch so! Vielen Dank

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  3. Britta says:

    Danke, Rolf!
    Du hast für mich gerade irgendwie das Hohelied der Liebe neu belebt : )
    Und der Satz „Kunst muss verstören, sonst ist es Deko“ hat mich echt angesprungen – der ist wichtig für mich, auch wenn ich ihn erst noch gründlich kauen muss…!

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  4. Thomas Jakob says:

    Die relative Kunstarmut evangelischer Kirchen ist die Kehrseite eines einigermaßen ernst genommenen Bilderverbots und kann im Zeitalter der Visualisierung zu einem ernsthaften Verkündigungsproblem werden.

    Ich war gerade eine Woche touristisch in Rom und habe das absolut erschlagende Kunstangebot im Vatikan und anderswo noch immer nicht verarbeitet. Vieles davon ist gemalte Theologie. Und niemand soll es wagen, zu behaupten, die Werke Raffaels, Michelangelos oder Berninis wären Deko, weil sie nicht verstören. Ein Bild kann mehr sagen als tausend Worte, Kunst kann auch etwas erreichen, indem sie einen anrührt.

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  5. Elisabeth says:

    Sehr guter Artikel, DANKE, spricht mir in vielem aus dem Herzen, wenn ich auch das eine oder auch etwas milder betrachte, im Sinne des altmodischen Wortes barmherziger. Jeder Christ ist auch Kind seiner Prägung, Schüler seiner Lehrer und ein bisschen – oh oh – „Höriger“ (verzeiht) seiner Gemeinden und Pastoren. Obwohl uns Christus zur Freiheit befreit hat.
    Wichtig ist dieser Kommentar in seiner Summe aber sehr! So sehr!
    Wenn ich in einem Kommentar bei youtube lese, dass Verletztes nicht schön sei, dann wird mir eng im Hals und in der Brust und überhaupt … Wie verkürzt ist solch ein Denken und wie Nicht-Jesus-gemäß! ER hing zutiefst verletzt am Kreuz, an Leib an Seele an Geist… So bereit ist Gott für alles
    Ja! Ich leide seit ich denken kann am mangelnden Kunst-Schönheits-Wildheits-und-sonst-noch-Empfinden, meiner christlichen Geschwister um mich her. Dabei gibt es sie, die Ausnahmen!)
    Ich glaube, die SCHÖN WIRD über sich hinauswachsen! Vorausgesetzt der Wind darf wehen.

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  6. ENF says:

    Wenn die Form vor dem Inhalt auffällt:
    Wenn schon Christ*innen, dann doch bitte konsequent das generische Maskulinum u.Ä entfernen, ansonsten wirkt der Prolog mit den „wenigen Frauen“ ein wenig zu künstlich und sogar eventuell anbiedernd 😉

    Stichwort Maler, Komponisten, Künstler, Christen, Dekorateure ..

    Nach der Korrektur entscheide ich mich dann ob das meine Freund*innen auch lesen sollten ;-).

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    • Rolf Krüger says:

      😝

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      • ENF says:

        Ja sorry, das fiel mir tatsächlich ’negativ‘ auf :-D.

        Sobald ich in Texten bewußtes Schreiben entdecken um nicht zu sagen ideologisches Schreiben (Form, nicht Inhalt) nehme ich das als Aufforderung auch bewußt zu lesen 😛

        Zum Inhalt ganz kurz 😉
        Sind gute Gedanken dabei, kann ich vieles unterschreiben. Allerdings nur bis es theologisch wird. Da sind und bleiben wir dann doch zu weit auseinander und, so nehme ich das wahr, entfernen uns zunehmend. Bzw wir kennen uns ja nicht, ich meine eher deine zunehmenden Absagen an alles was in irgendeiner Form klassisch, orthodox, evangelikal, konservativ etc. ist oder auch nur verdächtig danach aussieht 😉

        Im Kontext des Artikels sage ich mal so, deine Kritik am „Sichtbaren“ der Kirchen/Gemeinden beruht im Kern auf sehr großen theologischen Differenzen in den Kernbereichen des christlichen Glaubens.
        Deshalb wäre eine inhaltliche Diskussion über Kunst in Kirchen und Gemeinden eine Diskussion über Symptome 😉

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  7. Harry says:

    Kunst und Künstler vermögen Unaussprechliches, Unfassbares, Unbegreifliches wertfrei und damit wertvoll in Szene zu setzen.

    Gleisendes Licht erhellt die dösende Dämmerung zwischen Stofflichkeit und Geist.

    Synapsenverkalkungen brechen auf.

    Botenstoffexplosionen bringen tausend Sterne zum Funkeln.

    Wiedergeburt.

    Erwachsen aus der versteinerten Asche jeglicher Festschreibungen..

    Kunst kann.

    Versteinertes Können kann nichts!

    .

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  8. Laila says:

    Ich feier deinen Text!

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  9. erforderlich says:

    „Nicht umsonst sind wenige Künstler heteronormative Mittelklasse (…)“

    ?!

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    • Rolf Krüger says:

      Du verstehst den Satz nicht? Im künstlerischen Umfeld sind überdurchschnittlich viele nicht-heterosexuelle Menschen anzutreffen und dazu eher wenige Menschen, die man zur klassischen Mittelschicht, dem gesellschaftlichen Bürgertum zählen würde (mit Reihenhaus, Hund und Pauschalurlaub).

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  10. Stephan Germann says:

    Sehr gelungener Text. Danke für die Auseinandersetzung! Konnte mich sehr darin finden!

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