Coffee to go (XXX): Wahrheit und Demut

Heute wird die Wahrheit oft auf eine subjektive Authentizität des Einzelnen reduziert, die nur für das individuelle Leben gilt. Eine allgemeine Wahrheit macht uns Angst, weil wir sie mit dem unnachgiebigen Zwang der Totalitarismen identifizieren.

Wenn es sich aber bei der Wahrheit um die Wahrheit der Liebe handelt, wenn es die Wahrheit ist, die sich in der persönlichen Begegnung mit dem Anderen und den anderen erschließt, dann ist sie aus der Verschlossenheit in den Einzelnen befreit und kann Teil des Gemeinwohls sein. Da sie die Wahrheit einer Liebe ist, ist sie nicht eine Wahrheit, die sich mit Gewalt durchsetzt, eine Wahrheit, die den Einzelnen erdrückt. Da sie aus der Liebe hervorgeht, kann sie das Herz, die persönliche Mitte jedes Menschen erreichen.

So wird deutlich, dass der Glaube nicht unnachgiebig ist, sondern im Miteinander wächst, das den anderen respektiert. Der Gläubige ist nicht arrogant; im Gegenteil, die Wahrheit lässt ihn demütig werden, da er weiß, dass nicht wir sie besitzen, sondern vielmehr sie es ist, die uns umfängt und uns besitzt. Weit davon entfernt, uns zu verhärten, bringt uns die Glaubensgewissheit in Bewegung und ermöglicht das Zeugnis und den Dialog mit allen.

Papst Franziskus, Enzyklika Lumen Fidei, Nr. 34

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Kommentare

11 Kommentare auf "Coffee to go (XXX): Wahrheit und Demut"

  1. Dieter says:

    Drei Bibelworte beschreiben, wie die göttliche Liebe ihre Eigendynamik entwickelt:

    1.
    1. Korinther 14
    3 Und wenn ich alle meine Habe zur Speisung der Armen austeile und wenn ich meinen Leib hingebe, damit ich Ruhm gewinne, aber keine Liebe habe, so nützt es mir nichts. 4 Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig, sie neidet nicht, die Liebe tut nicht groß, sie bläht sich nicht auf, 5 sie benimmt sich nicht unanständig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet Böses nicht zu, 6 sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit; sondern sie freut sich mit der Wahrheit, 7 sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles. 8 Die Liebe vergeht niemals; seien es aber Weissagungen, sie werden weggetan werden; seien es Sprachen8, sie werden aufhören; sei es Erkenntnis, sie wird weggetan werden.

    2.
    Römer 5
    5 die Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden, denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben worden ist.

    3.
    Johannes 7
    38 Wer an mich glaubt, wie die Schrift gesagt hat, aus seinem Leibe werden Ströme lebendigen Wassers fließen.

    Liebe ist nicht gleich Liebe. Die Eigenschaften der göttlichen Liebe finden wir in 1.Kor.13. Die göttliche Liebe im Menschen benötigt den Heiligen Geist (Rö.8,9). Die als göttlich getarnte, menschliche Liebe, die aus jedem natürlichen Menschen kommt, ist eigennützig und soll letztlich sich selbst und nicht das Haus Gottes erbauen.

    Deswegen: Einer ist gut! Wer also dessen Liebe nicht hat, verführt mit seiner religiösen, menschlichen Liebe Menschen.

    Die Theologie der Taufwiedergeburtlehre fordert ja geradezu auf, diese selbstgerechte und selbsterbauende Liebe den Menschen als „göttlich“ vorzustellen.

    Wir sollten genau hinsehen.

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  2. Christian says:

    Ich vernehme (seit Franziskus I.) einen vielfachen freudigen Ruf aus emergenten Kreisen: „Wir sind Papst!“

    Wenn „Liebe“ = „Wahrheit“ ist, was ist dann „Liebe zur Wahrheit“ (2Thess. 2,10)? Wie können wir „die Wahrheit festhalten in Liebe“ (Eph. 4,15), und wonach beurteilen wir, was überhaupt Liebe ist?

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    • Wolfram says:

      Ich lese im obigen Zitat nicht, Liebe sei Wahrheit, sondern Wahrheit ströme aus der Liebe.
      Und ich mag mich jetzt nicht in eine Debatte über griechische Grammatik versteigen, die zu nichts führen wird – aber der griechische Text spricht von der „Liebe der Wahrheit“, und diese Genitivkonstruktion hat durchaus mehrere Sinne, von denen „Liebe zur Wahrheit“ nur einer ist.

      Mir scheint auch, „Liebe“ im Neuen Testament, selbst wenn nicht wie in Joh.21 verschiedene Begriffe dahinterstehen, die in der Übersetzung verlorengehen, ist nicht immer gleich zu verstehen. Allein schon weil es darauf ankommt, wer liebt.

      Andererseits läßt der Apostel Johannes in seinem ersten Brief deutlich verstehen: Gott IST DIE Liebe. Und wer glaubt, ist in koinônia (das ist wesentlich mehr als „Gemeinschaft“, das weist auf Wesenseinheit!) mit dem Vater und dem Sohn und somit zwangsläufig Wahrheit, weil die Lüge zur Finsternis gehört, Gott aber das Licht ist, wo keine Finsternis sein kann. Somit gehören Wahrheit, Licht, Liebe zusammen, wo Gott das einende Moment ist. Was ich bei Papst Franz einfach mal voraussetze.

      So manches Mal frage ich mich, warum eigentlich immer wieder eifrige Christen sich nur auf das Trennende stürzen, statt das Einende zu sehen: aufzusehen auf Christus.
      Als ob die Hand dem Hintern vorhielte, daß er keine Finger hat, und der Hintern antwortete, die Hand müsse bald explodieren, sie habe schließlich kein Loch zum Furzen.
      Warum also? Um sich selbst herauszustreichen als bessere Jünger? Mir ist, als hätte Jesus dazu einiges gesagt…

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      • Christian says:

        Wolfram, Meister der deftigen Worte … Du könntest glatt Lutheraner sein 😉

        Ich bin der Überzeugung, dass ich nicht so verkehrt liege, wenn ich die vom gegenwärtigen Papst skizzierte Wahrheitsdefinition in einer Linie mit dialektischer Prozesstheologie und im Einklang mit kritischer Epistemologie, und damit als zentrale Schnittstelle mit emergenter Theologie sehe, die die Wurzel und den Gipfel allen Übels in der orthodoxen Vorstellung einer konzeptuellen Wahrheit und eines besitzenden Glaubens sieht.

        Das „Wort der Wahrheit“, ist kein Konzept, das empfangen und festgehalten wird, sondern ist amorph und „ereignet“ sich.

        In dieses kritische Muster werden sämtliche Inhalte des klassischen Christentums methodisch eingeordnet.

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        • Wolfram says:

          Ich habe nichts gegen Lutheraner. Aber schon Paulus hat nicht mit deftigen Worten gegeizt, auch wenn die meisten Übersetzer etwa „ich erachte es für Scheiße“ nicht wörtlich wiederzugeben wagen… 😉
          Und ich glaube, ich habe schon mehrfach gesagt, daß mir dein Schubladensystem suspekt ist. Der christliche Glaube ist kein Apothekerschrank. Und christliche Theologie ebenfalls nicht.
          Was den „besitzenden Glauben“ angeht – den hatte wohl nicht mal Paulus, der „es nicht ergriffen“ hatte, „sondern ihm noch nachjagt[e]“… wer vermöchte von sich zu behaupten, größer als Paulus zu sein?

          Übrigens erkenne ich nicht, wo in deinem Kommentar du dich (über den Furz hinaus) mit meinem Vorkommentar auseinandersetzt; deshalb mache ich hier einfach mal nicht weiter.

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          • Christian says:

            Paulus kennt beides: Den besitzenden und den nachjagenden Glauben. Wir halten den Glauben, den wir (ein für allemal) empfangen haben und somit besitzen, und das gibt uns die Kraft und Motivation, dem himmlischer Kleinod nachzujagen.

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  3. Johannes says:

    Liebe ist nicht gleich Wahrheit. Die Wahrheit darf uns die Liebe nicht vergessen lassen bzw. die Wahrheit ist ohne Liebe nichts, aber gerade deswegen sind beide nicht dasselbe.

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  4. Christian says:

    Die „semper eadem“ römische Kirche versteht es immer, Zeitströmungen aufzugreifen und sich als integrierende Institution anzubieten. So geschehen mit der charismatischen Bewegung, und augenblicklich mit der emergenten Bewegung. Der gegenwärtige Papst lässt sich gut zitieren. Er ist perfekt auf die emergente Zielrichtung eingeschwenkt und zeigt damit, dass die römische Kirche die Bewegung und ihre Bedeutung wahrnimmt. Ebenso wie entsprechende Kräfte in anderen Denominationen sorgt er für Spott und Verachtung gegenüber Konservativen und Orthodoxen. Dabei merken nur wenige, dass Protestanten und Evangelikale bei solchen theologischen Spekulationen wesentlich mehr zu verlieren haben als die Römisch-Katholiken, nämlich nicht weniger als ihre Integrität.

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  5. FlyingSoul says:

    Hallo,

    ich lese diese Worte einfach so, dass ich am Liebesmaß erkennen kann, wie wahr eine vertretene Position ist. Und ich denke dabei an 1 Kor 13…

    🙂

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