Hebräisch zu übersetzen ist Strafe, Rat & Warnung

Ein Teil der Bibel, das alte Testament, ist in Hebräisch verfasst – und dieses Hebräisch ist eine alte, karge, urwüchsige Sprache. Griechischlehrer nennen das Hebräische gerne einen „Kameltreiberdialekt“, wenn sie ihre Fachkollegen necken wollen.  Das Hebräische hat sehr wenige Vokabeln, dafür eine unglaublich komplizierte Grammatik und dazu kommt, dass es in der Schriftsprache keine Umlaute gibt (und im übrigen auch keine Leerstellen zwischen Wörtern, geschweige denn Satzzeichen). Die Umlaute werden heutzutage mit Punkten um die Buchstaben herum simuliert – in den ursprünglichen Bibeltexten fehlen diese Punkte aber, weil sie eine spätere Erfindung sind. Das macht das Lesen (und übersetzen) der alten Texte nicht gerade einfach. Häufig bestehen Substantive und Verben nur aus drei Buchstaben, haben dafür aber eine breite Bedeutungsvielfalt und sind deshalb sehr viel unschärfer und uneindeutiger als unser heutiges Deutsch.

Die Signifikanz des Zusammenhangs wächst dadurch. Das ist ein wenig so wie zwischen Deutsch und Englisch, nur vielfach potenziert. Das Englische hat für Vieles mehr Vokabeln als wir. Wenn wir  vom Himmel sprechen, muss jemand, der unseren Text ins Englische übersetzt, schon beurteilen, ob wir den blauen Himmel (engl. “sky”) oder den jenseitigen Himmel (engl. “heaven”) meinen. Dieses Urteil fällt er aus seinem Verständnis des Zusammenhangs.

Genau das selbe Problem haben wir, wenn wir biblische Vokabeln in deutsche Worte des 21. Jahrhunderts übersetzen wollen. Erstens müssen wir oft zwischen einer Vielzahl von Möglichkeiten wählen und dazu kommt, dass uns die 2.000 bis 6.000 Jahre alte Kultur nicht gerade vertraut ist. Unscharfe Sprache, völlig andere Zeit, völlig anderer Kulturraum – was also verstanden Mose, Abraham und Jesaja wirklich  wirklich unter bestimmten Begriffen? Was schwang da bei ihm mit? Was bedeutete das in ihrem Kulturraum und in ihrer Zeit (auch der Erzählraum des alten Testaments erstreckt sich ja über Jahrtausende). Hat sich da vielleicht in den Jahrtausenden eine Bedeutungsverschiebung ergeben? Wir bewegen uns da bei aller Bibelwissenschaft trotzdem auf ziemlich unebenem Terrain.

Als Beispiel mag ein für Christen sehr wichtiger Vers aus Jesaja dienen:

Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. – Jesaja 53,5, Lutherübersetzung 1984

Das Wort, das in den meisten Bibeln als „Strafe“ (מוּסַ֣ר) wiedergegeben wird, kommt häufiger im AT vor und kann u.a. folgende Bedeutungen haben:

[one_half first]

  • Erziehung
  • Disziplin
  • Herrschaft
  • Fesseln
  • Rüge
  • Tadel
  • Zurechtweisung
  • Strafe

[/one_half]

[one_half]

  • Mahnung
  • Gerede
  • Zucht
  • Anweisung
  • Bildung
  • Rat
  • Korrektur
  • Warnung

[/one_half]

Welches davon ist es nun? Beurteilen können wir das einzig und allein aus dem Zusammenhang: Dem unmittelbaren Zusammenhang des Satzes, des Buches und auch der ganzen Bibel. Im Griechischen ist es übrigens nur wenig besser. Als ich Griechisch lernte witzelten wir immer, es käme noch die Vokabel, die je nach Zusammenhang „ja“ oder „nein“ heißen kann. *seufz*

Das soll nicht bedeuten, Bibelinterpretation sei beliebig, weil wir eh nicht genau wissen, was da steht. Im Gegenteil zeigt es, wie wichtig eine saubere Bibelauslegung ist.

Sich die Unschärfe und die Wichtigkeit des Kontextes immer wieder bewusst zu machen kann uns eine gewisse Demut vor dem Bibeltext und den ursprünglichen Autoren lehren. Es kann uns helfen zu vermeiden, dass wir uns an einzelnen Worten festbeißen und andere Menschen verurteilen, weil sie in einer Frage ein anderes Verständnis haben. Es bedeutet, dass wir besser und ausführlicher streiten müssen über theologische Fragen und die Interpretation einzelner Passagen. Aber es hilft uns auch, etwas barmherziger dabei zu sein.

Bild: smolianitski@flickr

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Kommentare

8 Kommentare auf "Hebräisch zu übersetzen ist Strafe, Rat & Warnung"

  1. Mik Hager says:

    Immer wieder eine wichtige Übung. Ein wichtiger Schritt, sich das bewusst zu machen.

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  2. Phil Mertens says:

    Hallo Rolf!
    Danke für Deinen Post. Ich kann Dir zustimmen, allerdings kommt mir das Hebräische im Gegensatz zum Griechischen für meinen Geschmack etwas zu negativ rüber; ich kenn eher das Klagen, dass das Koine-Griechisch der meisten neutestamentlichen Schriftsteller nicht gerade das Maß aller Dinge sei (wenn man mal Josephus dagegen liest). Das Hebräisch hat i.d.T. weniger Vokabeln; die Bibel enthält etwa 10-12-tausend verschiedene Wörter. Und sie sind i.d.T. fast allesamt auf jeweils drei Konsonanten zurückzuführen. Allerdings haben die wesentlich mehr Flektions- und Aspektmöglichkeiten sich auszudrücken; so reduktionistisch ist das gar nicht. Dabei kommt mir das grammatikalisch nicht komplizierter vor als das Griechische, das drei statt – wie im Deutschen – zwei Modi zu besitzen, weitere Zeiten, etc. pp. Aber egal, Peanuts…

    Lange Rede, kurzer Sinn: Was ich interessant finde – und vielleicht bestätige ich damit auch Deine Absicht mit dem Post -, ist die Tatsache, dass schon die Übersetzer der Septuaginta (DIE griechische Übersetzung des AT) nicht nur nicht wörtlich übersetzen, sondern oftmals bewusst theologisch an den Mainstream ihrer Zeit ihre Übersetzungen anpassten. Die hätten sich mit dem Griechischen bedeutend näher am Hebräischen orientieren können, haben sie aber nicht (das haben dann erst Aquila und Symmachus, v.a. Erster).

    Was für mich vielleicht das Spannendste ist: Die hebräische Sprache passt 1a zum Hebräischen Denken jener Zeit (hast Du, glaube ich, kurz angesprochen). Wir analytisch denkenden Menschen – durchs Griechentum geprägt – meinen, eine Sprache müsste präzise und eindeutig sein. Aber bestimmte Dinge, die gerade nicht eindeutig sein können, lassen sich demnach nur im Hebräischen ausdrücken. Populär ist natürlich “אהיה אשר אהיה“ (Ex 3,14); wir rätseln, ob das Tempus nun Gegenwart, Vergangenheit oder Zukunft ist. Dummerweise gibt es in jener hebräischen Sprachstufe gar keine finiten Tempi, weshalb alles möglich ist. Aber irgendwie genial, denn Gott war immer da, ist da und wird da sein. Es geht ja in diesem Zusammenhang auch vielmehr um die Beziehung, dass Gott mit Mose ist. Find ich phänomenal. Das könnte kein Griechisch ausdrücken; das Äquivalent “εγω ειμι“ hinkt da wirklich hinterher. Also, lasst uns fleißig die alten Sprachen lernen (auch wenn wir natürlich gute Übersetzungen bieten müssen, keine Frage).

    Viele Grüße
    Philipp

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    • Rolf Krüger says:

      Hallo Philipp,

      Danke für einen Kommentar – und richtig: Du bestätigst die Absicht des Textes 🙂

      Zu der hebräischen Grammatik: Wahrscheinlich sehe ich die nur in der Rückschau als so schwierig – wenn ich drüber nachdenke hast du völlig Recht – sie ist in Wirklichkeit eher simpel, was es aber auch wieder schwierig macht, genau zu übersetzen 🙂 Insofern ein Eigentor meinerseits 😉

      LG,
      Rolf

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  3. christianarguing says:

    Welche der Nebenbedeutungen von מוּסַ֣ר würdest du denn vom Kontext bevorzugen?

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  4. christianarguing says:

    Der Begriff muss ja irgendwas mit unserer „Missetat“ (m·phsho·nui) und unseren „Sünden“ (m·ounthi·nu) in Beziehung stehen.
    „Rat“, „Gerede“ oder ähnliches fällt da ja schon raus.
    Ich denke, die Sprachwissenschaftler und Übersetzer sämtlicher gängigen Bibelausgaben, die ich kenne, haben da schon ihre Hausaufgaben gemacht.

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    • Phil Mertens says:

      Interessanterweise entwickelt sich aus מוסר in der späteren jüdisch-hebräischen Literatur die sog. Mussar-Literatur und beinhaltet v.a. ethische Abhandlungen. Dürfte sich im Zusammentreffen mit hellenistischer bzw. christlich-ethischer Ethik entwickelt haben (ohne mich da zu weit aus dem Fenster lehnen zu wollen). Jedenfalls meint es in jenem Zusammenhang immer so etwas wie Erziehung, Zurechtweisung, Disziplin.

      Dass Sprachwissenschaftler ihre Hausaufgaben gemacht haben, trifft bestimmt zu. Nur orientiert sich die Übersetzungswissenschaft ja immer im Zusammenhang mit der Theologie, also dem geistesgeschichtlichen Umfeld. In den letzten Jahren und Jahrzehnten gab es aber ganz entscheidende Veränderungen, wenn ich da z.B. nur an die Paulus-Exegese denke und allein die Übersetzung von νομος – nicht als (womöglich metaphysisches) Gesetz, sondern als Weisung (zumindest in den meisten Fällen). Wer weiß, vielleicht wäre auch im Fall von Jesaja zu überlegen, was es auch meinen könnte. Müsste man mal im Kontext analysieren. Bestimmt spannend…

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  5. peregrinatio » Leben und Lästern mit Luther (1): Hebräische Nachtigallen says:

    […] Alle laufen sich allmählich fürs Reformationsjubiläum warm, hier mein persönlicher Beitrag: Luthersprüche, die nicht immer die Meinung der Redaktion widerspiegeln und vermutlich auch nicht die aller LeserInnen. Über diesen Spruch dürfte sich Rolf Krüger freuen: […]

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  6. Svenja Jung says:

    Lieber Rolf, ich kann mir gut vorstellen, dass es nicht so einfach ist, einen so alten Text zu übersetzen. Bedeutung, kulturrelevante Dinge und so weiter, müssen praktisch auf hohem Niveau erraten werden. Aber wie du schon sagtest, gerade deshalb ist eine saubere Auslegung besonders wichtig. Aber das betrifft ja nicht nur Texte, die 6000 Jahre alt sind. Wenn ich heutzutage so durchs Internet schaue, kann ich mich nur wundern, was für furchtbare Texte verbreitet werden! Zum Teil durch Google translator übersetzt oder durch Stümper, die ein paar Jahre Sprachunerricht in der Schule hatten und anschließend nie wieder! Viele machen sich nicht mehr die Mühe, auf Qualität und Fachwissen zurückzugreifen und professionelle Übersetzer zu engagieren. Bald ist das Internet voll falsch übersetzter Texte und man muss nach Qualität googeln!
    Darum ist es umso schöner, wenn man auf so ordentlich geführte Blogs wie deinen stößt!

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