Coffee to go (XIX): Frommer Zynismus

Unsere Kinder haben aus dem Kindergarten ein Tischgebet mitgebracht:

Lieber Gott wir danken dir für das gute Essen hier. Mache auch den Armen satt, der vielleicht noch Hunger hat.

Ich war erst sehr angetan, weil es doch nicht nur um uns geht, sondern auch den Blick auf die Armen lenkt.

Nach einer Weile aber ist mir aufgefallen, wie zynisch dieses Gebet ist:

Herr, danke, dass ich mir den Bauch vollschlagen kann, kümmere du dich bitte um dem Armen nebenan und gib ihm auch etwas zu essen.

Gott aber wird kein Essen nach nebenan zaubern. Auch einen himmlischen Lieferservice gibt es nicht. Gott erhört Gebete meist durch das Handeln anderer Menschen. Wer allerdings soll dem Armen nebenan im Auftrag Gottes etwas zu essen geben – wenn nicht wir?

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Kommentare

6 Kommentare auf "Coffee to go (XIX): Frommer Zynismus"

  1. Tobias Lampert says:

    Diese Wertung finde ich überzeichnet, zumal dann, wenn es sich um ein Kindergebet handelt. Zynisch ist so ein Gebet doch nur dann, wenn man Gott nicht mehr als Schöpfer und Geber aller Dinge versteht und versucht, die eigene Verantwortung auf Gott abzuschieben. Ein Glaube, der weiß, dass er Gott alles zu verdanken hat – ob es ihm durch Mitmenschen oder auf andere Weise zukommt – bittet Gott darum, auch die zu versorgen, denen es nicht so gut geht wie uns, die zunächst einmal außerhalb unserer Reichweite liegen. Und *gleichzeitig* bemüht sich so ein Glaube (schon aus purer Dankbarkeit heraus) darum, das Seine zu tun und diese Menschen in die eigene Reichweite hineinzuholen.

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    • Rolf Krüger says:

      Gerade weil es ein Kindergebet ist, ist es problematisch: Die Frage ist, welche Sicht auf die Welt und den Anderen es den Kindern vermittelt. Kindern machen sich keine so komplexen Gedanken wie du. Auf ganz simple, subtile Weise vermitteln wir ihnen: „Gott kümmert sich um den anderen. Du kannst dich zurück lehnen.“

      Gegen eine so internalisierte Haltung können Pastoren jahrelang vergeblich anpredigen… 🙂

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  2. Tobias Lampert says:

    Deine Bedenken verstehe ich schon – ich glaube aber nicht, dass so ein Kindergebet automatisch diese Haltung vermittelt. Isoliert betrachtet mag das sein – eingebettet in ein Glaubensumfeld, in dem auch tätige Nächstenliebe selbstverständlich gelebt und vermittelt wird, ist es schon wieder ganz anders. Dann wird aus Deinem Satz oben „Gott kümmert sich um den anderen. Und er will auch Dich dazu gebrauchen.“

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  3. Johannes says:

    Viel wichtiger als jedes Gebet politisch korrekt zu formulieren ist doch, den Kindern praktisch zu zeigen, was Verantwortung für andere Menschen und für Arme bedeutet. Im Kindergartenalter die direkt erfahrbare Umgebung, später auch global. Wenn wir zeigen, dass uns die Menschen nicht egal sind und wir konkret helfen wo Not herrscht, kommen die Kinder gar nicht auf die Idee, das Gebet nur als passive Aufforderung an Gott zu verstehen.

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  4. Wolfram says:

    Ehrlich gesagt: was können wir schon dafür tun, daß im Sudan was zu essen ist? Reichlich wenig, jeder für sich genommen. Und erst Kinder…
    „Lieber Gott, danke fürs Essen und Trinken, und bitte erinnere mich dran, gleich noch einen Scheck für Brot für die Welt zu schreiben“ ist doch auch kein Tischgebet, oder? Und wälzt letztlich die Fürsorge für den Hungernden auch auf andere ab, Almosengeben ist ja so einfach und einer Organisation was spenden noch mehr.

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