Die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte gestern einen in den sozialen Netzwerken vielbeachteten Artikel über den Fundamentalismus. Nicht nur den christlichen, nicht einmal nur den religiösen. Der Artikel analysiert wie mir scheint sehr klug, um was es beim Fundamentalismus wirklich geht. Eine der besten Stellen soll euch zum Lesen des ganzen Artikels anregen.
Die anderen sind in der Defensive. Die anderen, die irgendwo dazwischen stehen, die wissen, dass ein Glaube nicht nur Wellness ist, sondern auch von gemeinsamen Lehr- und Grundsätzen lebt, die aber nicht lebensfern erstarren dürfen.
Für die Vernunft und Glaube zusammengehören, die aber auch Platz haben für das Mystische, Geheimnisvolle des Religiösen. Die sich immer wieder neu justieren müssen und leise die Stimme des Fundamentalisten in sich selbst hören: Wie wäre es, wenn du das Durchwursteln ließest und dir einfach einen strengen Glauben zulegtest?
Es droht, verkürzt gesagt, die Mitte verlorenzugehen zwischen den Fundis und den Alles-egal-Menschen. Sich einfach einen strengen Gott zulegen, das ist die Versuchung des Fundamentalismus und sie wirkt. Sie wirkt umso stärker, je mehr man davon ausgehen kann, dass die Strenge dieses Gottes sich gegen die Anderen richtet – und einen selber rechtfertigt, das eigene Verhalten und Leben.
Das ist die eigentliche Häresie des Fundamentalismus: Er stellt sich über Gott, indem er das Deutungsmonopol über ihn beansprucht, sich zum Maßstab des richtigen Lebens erklärt.
Er versucht dem Transzendenten, dem Ersten und Letzten des Lebens, das Geheimnis zu nehmen: Wir wissen, was Gott will. Wir kennen ihn. Er hat uns gesagt, wo es langgeht. Was aber ist das für ein Gott, dem das Geheimnis genommen ist, der transparent ist wie ein vollständig ausgefülltes Facebook-Profil? Der nicht mehr fremd sein darf, wo man doch erst dem nahekommen kann, der fremd war und bleibt?
Das ist die Stärke, die Hoffnung der Nicht-Fundamentalisten unter den Gläubigen aller Art: Der lebendige Gott, überhaupt jedes lebende Sinngebäude, lebt vom Fremden, davon, dass es unergründlich bleibt, weil das Leben unergründlich und nicht steuerbar ist – nur so kann es lebendig sein, traurig und glücklich, leidvoll und lustig.
Ganzer Artikel: http://www.sueddeutsche.de/kultur/die-ketzerei-des-fundamentalismus-hoeher-als-gott-1.1326913
Kommentare
5 Kommentare auf "Wir Nicht-Fundis: Immer irgendwo dazwischen…"
hm, macht Geschmack auf den ganzen Artikel. Werd´s mir anschauen!
[…] bin offensichtlich nicht der einzige, den das Thema bewegt hat. Auf die Gefahr hin, hier der “Lobhudelei” verdächtigt zu […]
Der Artikel wirkt ausgewogen, ich finde mich auch irgendwo dazwischen wieder. Aber dieser Satz scheint mir dann doch ungleich zu gewichten.
„Die sich immer wieder neu justieren müssen und leise die Stimme des Fundamentalisten in sich selbst hören: Wie wäre es, wenn du das Durchwursteln ließest und dir einfach einen strengen Glauben zulegtest?“
Die Stimme kenne ich. Aber genauso gibt es auch die ganz liberale Stimme, die sagt: „Lass doch dieses Nicht-Alles-Wörtlichnehmen und komm zum Alles-Nicht-Wörtlichnehmen. Glaube als Wellness ist doch auch okay, Gott ist doch die Liebe, auch wenn das Grab voll war. Lass doch das Durchwursteln sein und leg Dir einen Gott zu, der alles toleriert.“
Was für „uns dazwischen“ die größere Versuchung ist, hängt wohl von Person und Tagesform ab.
Ja, denke ich auch.
Ich habe ein ganz anderes Bild von christlichen Fundamentalisten, als hier beschrieben steht. Die Pfingstler, die ich kenne, beneide ich manchmal um ihre geistige Freiheit und darum bemüht zu sein durch den Glauben über menschliche Verfehlungen nicht zu urteilen. Fundamentalismus fängt für mich da an, wo Andersdenkende auf der Basis einer Ideologie verurteilt werden, egal ob an der Fleischtheke oder in der Kirche. Mit Glauben hat das, und das beschreibt der Artikel sehr gut, nichts zu tun, denn die Gesetze werden höher als ein Gott gestellt. Ob Gott uns immer fremd sein muss, möchte ich bezweifeln, ich wünsche mir lieber einen Gott, der mich in Geheimnisse einweiht.
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