Wulff-Affäre: Lernen von Käßmann

Meine ersten beiden Reaktionen, als die damalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann nach ihrer alkoholisierten Autofahrt zurückgetreten ist, waren: Respekt. Und: Ist ein Rücktritt nicht ein wenig übertrieben? War der wirklich nötig, um ihre Glaubwürdigkeit als Bischöfin zu bewahren?

Wer damals genauso dachte wie ich, der sei eingeladen, das heute einmal mit der Affäre um die Reisen und Kredite unseres Bundespräsidenten zu vergleichen.

Urlaub bei Freunden – was ist daran denn so schlimm? Einen günstigen Kredit? Wo ist hier das Problem?

Margot Käßmann nannte als Hauptbegründung für ihren Rücktritt: „Die Freiheit, ethische und politische Herausforderungen zu benennen und zu beurteilen, hätte ich in Zukunft nicht mehr so, wie ich sie [davor] hatte“. Damit hat sie mit einem großen Weitblick erkannt, was viele Politiker nicht erkennen wollen. „Dieses Vergehen würde sie täglich verfolgen, egal wo sie auftritt und wozu sie sich auch äußert“, formulierte es der Theologe Friedrich Schorlemmer treffend. Immer, wenn Käßmann auf die Unmoral oder die Fehler anderer hingewiesen hätte, wäre ihr eigener Fehltritt mitgeschwungen – und hätte ihre Autorität als, ja, moralische Instanz, infrage gestellt.

Ob er will oder nicht: Der Deutsche Bundespräsident ist die institutionalisierte moralische Instanz in unserem Land.   Wer, wenn nicht er, hat die verfassungsmäßige Aufgabe, die Gesellschaft auf Fehlentwicklungen und falsche Wege hinzuweisen? Wer, wenn nicht er, hat das Recht und findet das Gehör für solche Ermahnungen? Und natürlich: Dazu gehört selbstverständlich auch die Korruption und ihre zarten Anfänge.

Um nichts anderes geht es in dieser Affäre: Um eine Form von Korruption. Auch wenn vielleicht (noch) keine Gegenleistung geflossen ist, auch wenn vielleicht (noch) keine Einflussnahme geschehen ist: Es ist und bleibt jenes gemeinschädigende Verhalten, was unsere griechischen Freunde in den Untergang getrieben hat. Wie soll Wulff je wieder Vetternwirtschaft anprangern und Ehrlichkeit einfordern, wenn er selbst der Versuchung erlegen war und nicht bereit war, von sich aus und sofort klaren Tisch zu machen?

Natürlich könnte man jetzt sagen: Herr Wulff hat niemandes Leben gefährdet, wie bei einer Alkoholfahrt. Was er getan hat, war noch nicht einmal so richtig verboten. Das stimmt. Aber das ist am Ende doch nur ein gradueller Unterschied, kein grundsätzlicher.

Margot Käßmann hat damals die richtige Konsequenz gezogen. Sie hat das getan, was es ihr weiterhin ermöglichte, aufrichtig in den Spiegel zu schauen. Sie klebte nicht an Amt und Macht. Sie stellte das, wofür sie stand, über ihre eigene Person. Und erntete damit den Respekt der Menschen.

Für Christian Wulff ist der Zug im Grunde abgefahren. Tritt er zurück, ist das zu spät, weil es immer heißen wird: Er hat sich nur dem Druck gebeugt. Tritt er nicht zurück, wird er für viele ein Bundespräsident zweiter Klasse sein – immer mit dem Makel behaftet, selbst nicht ganz integer zu sein. „Welche Ermahnungen können wir von so einen noch annehmen?“, werden die Menschen fragen. Und die unausgesprochene Antwort wird sein: Keine.

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Kommentare

7 Kommentare auf "Wulff-Affäre: Lernen von Käßmann"

  1. Gerd Schweinsberg says:

    Ist dumm gelaufen für Herrn Wulff! Jetzt ist es öffentlich. Kredit und Ferien damit ist unser Bundespräsident Christian Wulff nicht mehr unbefangen! Wie Margot Käßmann die Sache damals hinbekam alle Achtung! Sie hat es gut und richtig gemacht und steht jetzt besser da als wäre sie im Amt geblieben. An Margot Käßmann alle Achtung und Danke! Und Herr Wulf wie soll es weitergehen, sind doch nur Kleinigkeiten oder? So genau muss man es doch nicht nehmen. Das ist leicht gesagt!

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  2. Tertullian says:

    Meiner Meinung nach hatte Wulff als Bundespräsident von Anfang an einen schweren Stand, weniger wegen seiner Scheidung und Wiederheirat (das trifft auch auf seinen einstigen Gegenkandidaten Joachim Gauck zu), sondern, weil er noch mehr als seine Vorgänger ein Kandidat der Parteipolitik war (reinvom Alter her hätte er noch gut und gerne anderthalb Jahrzehnte niedersächsischer Ministerpräsident bleiben können), während er als Bundespräsident und Repräsentant von Volk und Staat überparteilich agieren muss. Damals wie heute wäre Gauck für mich der bessere Kandidat gewesen, auch wenn Wulff durchaus gut in sein Amt hineingewachsen war. Jetzt aber droht eine Legislaturperiode mit drei Bundesversammlungen, ein trauriges Novum in der Geschichte der Bundesrepublik – und zudem teuer für den Steuerzahler. Trotzdem lohnt aber auch ein Blick in die Vergangenheit, in der ein Mann namens Heinrich Lübke volle 10 Jahre als Bundespräsident amtieren konnte, der, würde er diverse ihm damals in den Mund gelegte Zitate heute wiederholen, nicht nur mit dem Rücktritt, sondern ziemlich sicher auch mit einem Parteiausschlussverfahren rechnen müsste. Die Zeiten haben sich also in vielerlei Hinsicht geändert.

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  3. Wolfram says:

    Tertullian – ein großer Name… 😉
    Eine kleine Korrektur aber dennoch: Heinrich Lübke hat keine vollen 10 Jahre amtiert, sondern ist vorzeitig zurückgetreten, aus Gesundheitsgründen. Nicht viel, aber dennoch vorzeitig.

    Zu Wulff kann ich mich nicht äußern; im Ausland hört und weiß man zu wenig. Die französischen Medien sind auf Strauss-Kahn, die drohende Zinsentwertung und die drohe… äh, kommenden Präsidentschaftswahlen derart fixiert, daß nichts anderes mehr Raum hat.

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  4. peregrinatio » Weiter wursteln? Das Wulff-Dilemma says:

    […] ohne als selbstgerechter und kleinkarierter Moralapostel dazustehen, oder? Wenn er wenigstens betrunken Auto gefahren wäre, aber das kann man sich bei ihm irgendwie gar nicht […]

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  5. interessierter Leser says:

    Die Idealisierung von Frau Kässmann und ihres (unbestritten) konsequenten Rücktritts ist zwar populär, aber sie wird in meinen Augen dadurch nicht richtiger. Evangelische Ethik hätte ihr durchaus andere Optionen ermöglicht. Die Selbstgerechtigkeit und Hysterie in der medialen und öffentlichen Wahrnehmung natürlich nicht …

    Ich glaube, dass die Deutschen nach wie vor ein Autoritätsproblem haben und deshalb mit den Zwielichtigkeiten oder Verfehlungen ihrer Regierenden nicht angemessen umgehen können. Früher oder später muss eine Gesellschaft – ähnlich wie die Kirche im Streit mit den Donatisten – sich einmal darüber klar werden, wie streng die moralischen Standards für ihr Führungspersonal sein sollen und welche Konsequenzen das wohl für’s Ganze hätte.

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  6. Snowodan says:

    Super, Herr Krüger, ihr Beitrag trifft den Nagel auf den Kopf. Mir ging es anfangs auch so – ich hatte fast schon ein bisschen Mitleid mit dem ‚Bundes-Wulff‘, dass er nun wegen eines bloßen ’selbst-organisierten‘ Eigenheim-Kredits Schlagzeilen macht. Auch dachte ich an einen organisierten, kurzlebigen Hype wie beim sog. ‚Cheater-Baron‘ (vgl. http://www.hausarbeiten.de/faecher/vorschau/171823.html#inside ). Aber es stimmt: Im Grunde genommen – auch ohne erfolgte Gegenleistung – verliert gerade ein Bundespräsident mit einem solchen Deal bzw. „Kredit unter Freunden“ seine Souveränität.

    Die Frage, die sich jetzt stellt, ist, warum er nicht an einen Rücktritt dachte: Erstens, weil er sich keiner „Schuld“ bzw. keines „Vergehens“ bewusst ist (ggf. weil der ‚Skandal‘ medial doch heißer gekocht wird, als er tatsächlich ‚hergibt‘), oder zweitens, und das wäre die unschöne Variante, mangels persönlichem Format – soll heißen: die eigenen Fehler sind durchaus bekannt, es wird aber in Guttenberg- bzw. Vogel-Strauß-Manier zunächst versucht, das Gröbste ‚auszusitzen‘?

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  7. Second Attempt says:

    „Es ist tragisch, dass Deutschland in dieser schwierigen Zeit keinen unbefangenen Bundespräsidenten hat, der seine Stimme mit Autorität erheben kann.“ (Wulff im Jahr 2000 zur Flugaffäre des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau. Zitiert nach Spiegel, 2/2012)
    Ob er diese Einschätzung vergessen hat?

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