Schlechte Idee der Woche: Die Bibel in Verse einteilen

Die Bibel ist das vielfältigste Buch auf diesem Planeten, das schillerndste und zugleich das am meisten missbrauchte. Unendlich viele Streitigkeiten und schmerzliche Trennungen zwischen Christen haben nur deswegen stattgefunden, weil man mit der Bibel so ziemlich alles belegen kann. Zumindest dann, wenn  man die Verse in den richtigen Zusammenhang setzt – oder besser: sie aus ebendiesem reißt.

Deshalb sollten wir dem Druckereibesitzer Robert Estienne vielleicht nur bedingt dankbar sein, der 1551 auf eigene Faust die Verseinteilung in die von ihm gedruckten Bibeln einführte. Die ist zwar äußerst praktisch, ja geradezu unverzichtbar, um gemeinsam in der Bibel zu lesen. Aber sie hat auch beigetragen zu manchen ziemlich wirren Theologien und sicher auch zu mancher Kirchenspaltung. Ohne Verseinteilung kann man sich schließlich die Bibelzitate nicht so wunderschön gegenseitig um die Ohren hauen.

Mal angenommen, Herr Estienne hätte keine Bücher gedruckt, sondern Fledermäuse gezüchtet und wir hätten in der Folge eine Bibel zwar mit Kapiteleinteilung, aber ohne einzelne Verse (und vorschlagsweise auch ohne Abschnitte). Vielleicht würde es am Anfang jeden Kapitels eine kurze Stichpunkt-Liste oder einen Vortext geben, der den Inhalt zusammenfasst. Der Fließtext würde sich viel mehr wie ein Buch lesen – so wie er ja auch mal verfasst war und wie ihn Christen tausende von Jahre gelesen haben. Ein Brief wäre wieder ein Brief, ein Geschichtsbuch ein Geschichtsbuch, ein Gedicht ein Gedicht.

Na gut, vor Streitereien, Religionskriegen und Kirchentrennungen hat uns das damals auch nicht bewahrt. Insofern ist es vielleicht auch egal, ob Versnummern davor stehen oder nicht. Heute ist es nur einfacher, seine abstruse Sonderlehre vermeintlich biblisch zu begründen. Früher hat man sich halt gleich die Köpfe eingeschlagen. Ohne Begründung.

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Kommentare

12 Kommentare auf "Schlechte Idee der Woche: Die Bibel in Verse einteilen"

  1. Onkel Toby says:

    Oh ja. Ich wünsche mir schon seit Jahren eine Ausgabe ohne diese fürchterliche Verseinteilung, aber anscheinend ist das für die Verlage völlig undenkbar. Schade.

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  2. Tertullian says:

    Manchen reicht ja nicht mal eine Verseinteilung – sie brauchen auch noch Registerblätter für jedes Buch >:-)

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  3. stephan says:

    „früher hat man sich halt gleich die Köpfe eingeschlagen. Ohne Begründung“ – sehr treffend formuliert :). Man müsste nicht nur die Verseinteilung und die daraus resultierende Möglichkeit der „Bibelstellenjonglage“ abschaffen, sondern am besten gleich ganz verbieten, die Bibel zu Kampfzwecken zu verwenden… und wer sich nicht dran hält und trotzdem seinen Bruder mit Bibelstellen lieblos bewirft, der wird natürlich sofort bestraft, denn in der Bibel steht ja „…“ Mist! Geht ja auch wieder nach hinten los^^.

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  4. Albis says:

    „Heute ist es nur einfacher, seine abstruse Sonderlehre vermeintlich biblisch zu begründen.“
    Spannend, dass das jemand sagt, der selbst einer abstrusen Sonderlehre – nämlich der Emerging Church und der postmodernen Theologie – hinterherläuft…

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  5. helmut says:

    Also ich kann nicht sehen, dass nach Stefanus (aka R. Etienne) mehr Bibelzitate aus dem Zusammenhang gerissen wurden als vorher.

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  6. Wolfram says:

    Luther kannte keine Verseinteilungen (meines Wissens waren die aber ein wenig älter als 1551, sondern in Frankreich um 1535 aufgetaucht?), was ihn aber nicht gehindert hat, massiv biblisch zu argumentieren. Und Theologie auf Grund der Bibel ist schon was anderes als auf Basis irgendwelcher Kirchenväter.
    Übriggeblieben von Luthers Art, Bibelstellen anzugeben, ist im Volksmund „dann ist aber Matthäi am Letzten“, was wohl von einem Hinweis auf den Missionsbefehl (Matthäi Evangelium, am letzten Kapitel) herrührt.

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  7. Flückiger says:

    Auch ich bin mit der Kapitel- und Verseinteilung hin und wieder unglücklich, aber auch mit den zugefügten Titeln. Alle diese Dinge tendieren dazu, den biblischen Text in eine bestimmte Richtung zu deuten. Doch dass die biblische Ueberlieferung ein Fliesstext wäre, ist auch nur ein Aspekt der Realität. Für mich sind viele biblische Bücher Kompositionen, die bewusst gewählt wurden, um gewichtet und zielgerichtet die Botschaft Gottes, dass er ist und sein Heil in die Freiheit führt, zu verkünden.
    Zudem ist Bibel viel mehr Gottes Wort als Heilige Schrift. Es ist wichtiger, sie (gemeinsam) zu hören als sie nur alleine zu lesen.

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  8. stefan says:

    oh, da hat jemand „Heidnisches Christentum“ gelesen, right?! Preisfrage: Gibt es eigentlich Bibeln ohne Verseinteilungen? Mir ist da nur die engl. „The Message“ bekannt, die eher wie ein Roman zu lesen ist…

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