Diese Woche findet in Essen das Emergent-Forum statt und zwar mit dem Thema: Die Suche nach dem dritten Weg. Bei diesem Stichwort fiel mir die Passage aus der Bergpredigt ein, in der Jesus vom breiten Weg spricht, der zum Verderben führt und vom schmalen, der zum Leben führt.
Geht durch das enge Tor! Denn das Tor ist weit, das ins Verderben führt, und der Weg dahin ist breit und viele gehen auf ihm. Aber das Tor, das zum Leben führt, ist eng und der Weg dahin ist schmal und nur wenige finden ihn.
Matth. 7,13+14
In unseren Köpfen erscheint sofort das klassische Bild: Ein breiter, bequemer Weg, proppenvoll mit Menschen, die von Gott nichts wissen wollen, die belügen und betrügen, die egoistisch sind, geldgierig und streitsüchtig.
Und daneben ein schmaler, steiniger Weg, der sich in ausreichendem Abstand fast unsichtbar durch die Landschaft schlängelt, auf ihm wenige Menschen, ihres Zeichens Christen, lauteren Herzens, ehrlich, keusch und demütig.
Auch wenn viele intuitiv dieses Bild für zu schwarz-weiss halten, prägt es – ehrlich betrachtet – unserem Glauben doch ziemlich tief. Dabei wird die Problematik dieses Bildes aus der obigen, etwas überspitzten Beschreibung, recht deutlich: Es gibt kaum Platz für Abstufungen, kein Spielraum für Schattierungen. Was, wenn jemand Gutes tut, aber es manchmal mit der Wahrheit nicht so genau nimmt? Wenn jemand nie lügt, aber im Grunde ziemlich egoistisch lebt? (Und tun wir das nicht alle in der sogenannten „ersten Welt“? Ein wunder Punkt, den wir gerne verdrängen oder mit Fair-Trade-Kaffee herunter spülen.) Und was ist eigentlich mit streitsüchtigen Christen? Sind auf dem schmalen Weg wirklich nur die ganz Perfekten? Viele Fragen hängen daran, die man sich mühsam zurecht argumentieren muss.
Schmaler Weg oder schmaler Grat?
Ist das aber wirklich das, was Jesus mit seinen Worten ausdrücken wollte oder hat sich das ursprünglich von Jesus gemeinte Bild über die Jahrhunderte hier in einer Nuance verschoben, die allerdings einige Auswirkungen hat?
Wichtigster Grundsatz bei jeder Auslegung ist zu prüfen, was der Absender eigentlich vor Augen hatte, was der Absender für ein Bild in den Köpfen der Zuhörer kreieren wollte. Und natürlich, wie das in den Zusammenhang des Textes passt.
Was ist, wenn Jesus hier eigentlich eine ganz andere Aussage im Kopf gehabt hätte als sie sich heute aufgrund des uns eingebrannten Zwei-Wege-Bildes auftut?
Das Prinzip der zwei Tore war Standard in größeren Städten (das sieht man noch heute bei alten Stadttoren): Das kleine Tor war leichter zu bewachen, also war nur dieses nachts zugänglich, durch das große Tor strömten tagsüber die Massen. Es war bequemer, ungesehen und anonym durch das große Tor mitzuschwimmen, der Umweg über das kleine Tor war mühsamer, weil man von den Wachen wahrgenommen wurde und sich vielleicht rechtfertigen musste.
Was aber wäre, wenn „schmaler Weg“ hier im Deutschen besser mit „schmaler Grat“ übersetzt wäre? Dieses kleine Detail würde gewaltige Konsequenzen nach sich ziehen. Denn plötzlich wechselt der springende Punkt des Bildes. Stellen wir uns folgende Szene vor, wie Jesus vor einer größeren Menschenmenge steht, die Bergpredigt hält und diese Passage gerade erklärt:
„Das Reich Gottes ist nicht bequem. Es ist ein schmaler Grat der beschritten werden muss und auf beiden Seiten kann man ins Verderben abrutschen!
Das Reich Gottes und euer richtiges Verhalten lassen sich nicht auf bestimmte Regeln festlegen. Aber es ist auch nicht völlig egal, was ihr tut. Handelt den Menschen gegenüber in allem so, wie ihr es von ihnen euch gegenüber erwartet. Das ist es, was das Gesetz und die Propheten fordern (Vers 12).
Das aber erfordert wiederum von euch ein ständiges Nachdenken und Prüfen in jeder Situation. Hütet euch vor den falschen Propheten, die euch ganz genau sagen wollen, wo es lang geht (Vers 15)! Denn nicht jeder, der »Herr, Herr! « zu mir sagt, wird ins Himmelreich kommen, sondern nur der, der den Willen des Vaters tut, (Vers 21) nämlich Frieden stiften, barmherzig und sanftmütig sein, nach Gerechtigkeit dürsten, Schmähungen und Leid ertragen, sich vor Gott arm machen, (Mt. 5, 3-9) – kurz: von der Liebe bestimmt sein. Denn »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt«, dies ist das höchste und größte Gebot, das andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst«. In diesen beiden Geboten hängen das ganze Gesetz und die Propheten (Matthäus 22,37-40).
Stellt euch ein Stadttor vor! Die Masse macht es sich bequem und geht durch das große Tor. Sie lassen sich einfach mit den Leuten hindurch treiben, aber sie haben hinter dem Tor wenig Möglichkeit, dem Sog der Masse zu entkommen. Wer durch das große Tor geht, der wird am Ende auch da landen, wo die träge Masse hin schwimmt: Das aber sind allzu oft Lieblosigkeit, Selbstsucht und Verderben.
Das Reich Gottes läuft anders. Löst euch aus der Masse und denkt nach! Nehmt nicht den Weg des geringsten Widerstands! Das schmale Tor, dieser schmaler Grat des aufrichtigen Abwägens jeder Situation, führt zum Leben, ist aber nicht leicht zu finden. Deswegen, wenn Ihr merkt, dass ihr mit der Masse mitschwimmt und durch das große Tor geht – prüft, ob ihr den schmalen Grat der Liebe nicht verlassen habt.“
Klar, dieses Zitat ist völlig fiktiv und bitte legt mich nicht auf Details fest. 🙂 Aber steckt in der Passage nicht viel mehr Kraft, wenn man sie so liest?
Haben wir es uns mit dem herkömmlichen Zwei-Wege-Bild nicht in Wirklichkeit viel zu bequem gemacht? „Ich bin doch Christ, also auf dem schmalen Weg unterwegs. Ich halt die Gebote und werde für meinen Glauben belächelt – alles ist in Butter! Der Heilige Geist hat mich auf den richtigen Weg geleitet, jetzt kann er sich um andere kümmern, die noch verloren sind.“ Wem der Schuh nicht passt, der braucht ihn sich nicht anzuziehen. Aber manche haben hier vielleicht ein Aha-Erlebnis.
Was ich besonders charmant finde: Der Heilige Geist hat auf dieser Gratwanderung endlich eine permanente Rolle, nämlich die des Führers, Begleiters und Mahners in allen Situationen. Er hilft uns nicht nur beim einmaligen Wechsel auf einen schmalen Weg zum Leben, sondern er ist derjenige, der uns bei jeglichem situativen Abwägen unterstützt und leitet. Natürlich haben wir das schon immer so gesagt. Aber jetzt passt es plötzlich auch zu dieser Passage.
Wenn Jesus hier wirklich den schmalen Grat, einen ständigen Balanceakt, gemeint hat statt eines steinigen, aber festen Paralellwegs zur bösen Welt, ist dann nicht unser „dritter Weg“, über den wir uns in Essen austauschen, genau dieser schmale Grat?
Mich würde interessieren wie Ihr das seht. Kann man die Passage so lesen? Vergewaltigt dies den griechischen Text (leider habe ich meinen „Sprachlichen Schlüssel NT“ gerade verliehen) oder könnte es eine Tür zu einem neuen (bzw. eigentlich ganz alten) Verständnis dieser Stelle öffnen?
Kommentare
7 Kommentare auf "Der „dritte Weg“: Eine Gratwanderung"
Auch, wenn der 3. Weg eine Gratwanderung ist, wird GOTT sicher vorgesorgt haben, dass auch das Geländer nicht fehlt. Und das Geländer ist SEIN Gesetz, denn wir wissen, was GOTT von uns fordert: „Gutes tun, barmherzig sein u. demütig vor unserem GOTT!“
GOTT ist Liebe u. aus SEINER Liebe heraus hat ER uns SEINE Gebote gegeben, damit wir nicht straucheln u. fallen. Und ob wir auch nicht standhaft sein können, so hilft uns der HERR doch wieder auf.
ER nimmt uns unsere Last ab. ER legt ein für uns zugeschnittenes Kreuz auf, darum sorgen wir uns nicht.
Wenn wir in unserem Alltag auch kein konkretes Ziel haben, so haben wir es jedoch in IHM, denn ER ist uns vorausgegangen, eine Stätte zu bereiten, damit wir dort bei IHM sein können.
„ER hat SEINEN Engeln befohlen, dass sie uns behüten auf allen unseren Wegen u. wir uns an keinem Stein stoßen!“
Hallo Konrad,
danke. Ehrlich gesagt klingt das alles nach ziemlich stereotypen Formeln. Was steht denn hinter diese Formeln wie „das Geländer ist sein Gesetz“, „er legt ein für uns zugeschnittnes Kreuz auf“ oder „Und ob wir auch nicht standhaft sein können, so hilft uns der Herr doch wieder auf“?
Noch ein kleiner Hinweis: Grossschreibung bedeutet im Internet „schreien“. Ich denke, das wolltest du nicht, aber denk vielleicht das nächste Mal dran, wenn du einen Kommentar verfasst.
Beste Grüße,
Rolf
Hi Rolf,
oh, bei Dir kommentiert „Konrad“ auch 🙂
Ich habe neulich gute Gedanken dazu gefunden bei Martin Schleske:
Bis zum ef10,
Peter
Ich habe in meinem Leben beides erfahren. In manchen Bereichen ist es der schmale Grat und da läuten bei mir aber auch sehr schnell die inneren Alarmglocken und Gott hat mich gelehrt dass ich viel mehr Freiheit vor ihm habe, als ich mir selbst oft zugestehe. Für mich bilden diese beiden Bilder keinen Widerspruch, sondern ergänzen sich.
FROHE WEIHNACHTE! 🙂
[…] Rolf Krüger: Der „dritte Weg“: Eine Gratwanderung […]
Interessant finde ich, welche „erste Gedanken“ wohl den meisten kamen.
Ich musste zuerst an Athony Giddens denken. Der suchte den dritten Weg für die Politik in der Globalisierung und legte so den philosophischen Grundstein für new labour in GB.
Spannend wäre, wie wir von solchen Denkern beeinflusst sind ohne es zu wissen.
Weiss nicht ob KONRAD schon Markus 8, Römer 6, 2 Korinther 4 oder Philipper 3 schon mal gelesen hat. Es gibt kein „ER hat für mich“ ohne „ICH muss auch“. Jesus hat für sich das Böse besiegt doch schau mal aus dem Fenster, sie ist noch da, wir müssen sie auch besiegen.
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