Irgendwie ist mir die Frau sympathisch! Natürlich: Sie ist lesbisch und deshalb müsste ich sie vermutlich als guter Christ eigentlich verurteilen. Und mit ihr alles, was sie sagt. Und natürlich: Sie ist selbst keine Kreationistin – also glaubt sie nicht an die 6-Tage-Schöpfung, wie es erstaunlicherweise 50% der Jesus.de-Leser tun.
Nun gehöre ich weder zu den einen (die Wolff aufgrund ihres Homo-Outings zur schlechteren Politikerin degradieren wollen) noch zu den anderen (die an eine 8.640-Minuten-Schöpfung glauben).
Ich stehe nur belustigt daneben und beobachte gespannt die delikate Situation: Eine Kultusministerin fordert, die Diskriminierung anderer Urgeschichts-Theorien als die der Evolution im Biounterricht zu beenden. Dafür wird sie stracks zur Fundamentalistin (Berliner Morgenpost) erklärt und findet sich als Teil eines Kreationisten-Dreigespanns mit George Bush und dem iranischen Religionsminister wieder, in das sie Grünen-Fraktionschef Tarek Al-Wazir kurzerhand einsortiert.
Naja, Karin Wolff und den iranischen Religionsminister trennen schon noch Welten. Zumal sie lediglich von „erstaunlichen Übereinstimmungen“ zwischen den Fakten (!) der Evolutionslehre und der symbolischen (!) Darstellung der biblischen Schöpfungsgeschichte sprach. Die frühere Religionslehrerin möchte schließlich nur, dass im Biologie-Unterricht auch die Grenzen naturwissenschaftlicher Erkenntnis behandelt und philosophisch- theologische Fragen aufgeworfen werden sollten.
Dafür wird sie von den echten Kreationisten mit zurückhaltendem Beifall bedacht. Denn selbst ein sonst eher evolutionsmürrisches Medium wie die konservative evangelikale Nachrichtenagentur idea hyped Wolff keinesfalls. Und sogar die Studiengemeinschaft Wort+Wissen, vor einiger Zeit vom ZDF-Magazin Frontal21 als brandgefährlicher Fundamentalistenclub enttarnt, reagiert auf Wolffs Forderungen mit Zweifel: Man sehe die Auseinandersetzung mit der Schöpfungsgeschichte im Religionsunterricht besser aufgehoben als im Biounterricht.
Aber man nimmt in der deutschen Presse eben an, dass Frau Wolff der Star der Kreationisten sei. Wie falsch. Vor allem jetzt, nachdem sie per BILD-Zeitung verkünden lies: Ich liebe eine Frau!
Denn wie die taz richtig beobachtet hat, tragen eben jene, die sich landläufig gegen die Evolution wenden, bei anti-homosexuellen Demonstrationen (in Warschau, Riga, Bukarest, Moskau) gern Transparente mit der Aufschrift: „Gott hat Adam und Eva geschaffen, nicht Adam und Pawel“. Und auch in Berlin, Frankfurt und Wiesbaden ist das ähnlich. Schnell reagiert denn auch Wolffs Landtagsfraktion und lässt wissen, dass die Beziehung der Kultusministerin ihre private Angelegenheit sei. Schließlich stehen Wahlen vor der Tür und große Teile des traditionell konservativen CDU-Wählerklientels werden Wolffs Bekenntnis mit Entsetzen zur Kenntnis genommen haben.
Warum das Outing gerade jetzt kam, ist indes Gegenstand vieler Spekulationen. Man munkelt, sie wolle von ihrer vermeintlichen Kreationismusliebe ablenken. Andere behaupten, sie wolle sich angesichts der Wahlen einfach wieder jenseits von Biounterricht und Schöpfungslehre ins Gespräch bringen.
Klar ist aber: Sie hat damit nun eine weitere Front eröffnet, an der sie kämpfen muss – und sich fürderhin auch ständig rechtfertigen. Denn die einen, die sie für ihren Einsatz gegen den Absolutheitsanspruch der Evolution loben, werden sie ob ihrer Homosexualität scharf kritisieren. Und die anderen, die ihre Ehrlichkeit in Bezug auf ihre Sexualität würdigen und ihren Mut zum „coming out“ beklatschen, werden sie ob ihrer gefühlten Nähe zu den gefürchteten christlichen Fundis tadeln.
Was kommt, wird sich zeigen. Bislang werfen sich ihre Vorgesetzten noch in vorauseilendem Gehorsam für Wolff ins Zeug. Roland Koch beteuerte zwar: „Wir werden nicht zulassen, dass die Kreationisten-Theorie Gegenstand des Unterrichts wird“, verteidigte aber trotzdem Wolffs Ansätze: „Wer sagt, er setzt den Glauben absolut, hat genauso Unrecht wie derjenige, der sagt, er setzt die Naturwissenschaften absolut“.
Der Applaus der schwulen Szene hat sich indes bereits eingestellt: Der Lesben- und Schwulen-Verband zeigte sich erfreut über Wolffs Outing und nutzt den Anlass, die Hoffnung zum Ausdruck zu bringen, der Schritt in die Öffentlichkeit sei für die hessische Landesregierung ein Anstoß, sich künftig stärker für den Abbau der Diskriminierung von Lesben und Schwulen einzusetzen. Dazu gehöre auch, „im Schulunterricht an den Zielen der Aufklärung gegenüber obskuren Weltdeutungen festzuhalten“, womit der Verband natürlich eben jene Weltdeutung meint, welche die Evolution infrage stellt und meist im gleichen Atemzug die Homosexualität ablehnt.
Wie gemeinte Kreationismus-Anhänger und Homosexualitäts-Kritiker auf die Debatte reagieren, darf mit einer gewissen Spannung erwartet werden. Während ich diese Zeilen schreibe hat die Nachrichtenagentur idea auf ihrer Homepage noch den Artikel „Homosexualität ist der Tod – ich wähle das Leben“ an oberster Position. Der beschäftigt sich zwar nicht mit dem Sexleben deutscher Politiker, gibt aber wohl schon die Richtung vor. Na ja, das kann ja noch reizvoll werden…
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