Wenn der Staat auf Gott schwört….

Ja, das tut der christlich-amerikanische Seele weh: Keith Ellison, erster muslimischer Kongressabgeordneter in der Geschichte der USA, schwört beim traditionellen „Swearing-in“ auf den Koran statt auf die Bibel.

Viele Konservative in den USA warf diese geringfügige Abweichung von der gewohnten Norm völlig aus der Bahn. Allein der (jüdische) Kolumnist Dennis Prager sorgte mit seinem Blogartikel für einen regelrechten Sturm der Entrüstung über diese „Schmähung amerikanischer Grundwerte“. Die feinen Christen schrieben gar nicht so feine Drohbriefe an Ellisons Familie und sein Telefon stand auch nicht mehr still.

Dabei ist die Frage natürlich berechtigt: Darf sich in einem Land, das auf christlichen Grundwerten fußt, ein Volksvertreter statt auf diese Grundwerte auf den Islam berufen? Oder – wie Prager weiter schreibt – gar auf jedes beliebige Buch, je nach Gusto und eigenem Hintergrund: der Mormone auf das Buch Mormon und der Rassist auf „Mein Kampf“?

Freilich ist bei genauerem Hinsehen die aktuelle Aufregung um den Amtseinführungs- Schwur für die meisten Ankläger nur der willkommene Anlass, gegen einen ungeliebten Abgeordneten Stimmung zu machen. Es ist ja auch kurios genug: Ein afro-amerikanischer Moslem gewinnt einen überwiegend „weißen“ US-Wahlkreis mit den Forderungen: Rückzug aus dem Irak, mehr Umweltschutz, Legalisierung der Homoehe und Recht auf Abtreibung. Klar, dass man als rechtsgeflügelter Amerikaner gegen eine solche Gefahr von schräg links massiv opponieren muss. Was liegt da näher, als den Delinquenten ein wenig zu diskreditieren – als Verräter des Vaterlandes zum Beispiel. Das zieht immer in den USA.

Und wenn man dazu eine ausgehöhlte Tradition bemühen muss. Denn das Swearing-In ist ja nichts anderes als ein besserer Fototermin. Keine Formel wird gesprochen, keine Feierlichkeit erzeugt – einfach nur Blitzlichtgewitter und Lächeln. Nicht zu vergleichen mit der Vereidigung unserer Bundesregierung, zum Beispiel, wo ja Gerhard Schröder von vielen Christen innerlich ausgebuht wurde ob seiner Unterlassung der Floskel „…so wahr mir Gott helfe“.

Ist das Ganze also nicht nur eine amerikanische Frage? Wenn wir sie einmal ehrlich auf uns wirken lassen, dann merken wir, dass sie tatsächlich ganz konkret auch unser Leben berührt. Spätestens, wenn wir Deutschen dermaleinst über die Europäische Verfassung und ihren ebenfalls fehlenden Gottesbezug abstimmen dürfen sollten, muss sich jeder Wähler eine Meinung gebildet haben: Soll sich ein Staat auf eine Religion berufen oder nicht?

Upps, Trennung von Staat und Kirche – da war doch was!? Ist es nicht eine der großen Errungenschaften der Neuzeit, dass eben Staat und Kirche getrennt sind, der Staat neutral ist und die Staatsdiener sich auf eine Verfassung mit Grundrechten für alle Religionsanhänger berufen? Stehen nicht auch wir mit unserer „Staatsreligion light“ in der Gefahr, dem Staat die Neutralität zu nehmen, wenn wir Volksvertreter dazu bewegen wollen, ihren Amtseid auf ein bestimmtes religiöses Buch abzuleisten?

Und die Gretchenfrage bleibt: Solange das Christentum im Westen vorherrscht, fordern wir den Bezug auf eine höhere Instanz. Was machen wir aber, wenn dermaleinst der Islam obenauf sein sollte? Wenn Keith Ellison, ein durchaus sympathischer Mann übrigens, dermaleinst Präsident der USA würde? Wären wir dann immer noch dafür, dass sich die „Obrigkeit“ auf ein religiöses System beruft? Wäre es uns dann lieber, Ellison würde auf eine Bibel schwören, an die wir glauben, aber nicht er, oder auf den Koran, an den er glaubt aber nicht wir? Und würden wir protestieren, wenn Bundestagsabgeordnete den Amtseid mit „so wahr mir Allah helfe“ abschließen würden?

Wäre es dann nicht gleich besser, die Träume einer christlichen politischen Vorherrschaft zu begraben und sich lieber auf Freiheit, Achtung der Menschenwürde, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, die Wahrung der Menschenrechte, Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern als Grundwerte zu berufen, wie sie im EU-Verfassungsentwurf skizziert sind? Diese Werte sind so klar, dass sie kaum bis zur Unkenntlichkeit desinterpretiert werden können, wie wir es durchaus in der Vergangenheit schon mit unseren christlichen Tugenden geschafft haben. Und wie es die meisten Moslems mit ihren Grundwerten derzeit tun (wir sollten nicht vergessen: es gab Zeiten, da lebten die Menschen im Machtbereich des Islam bedeutend freier als die im Machtbereich des so genannten Christentums).

Natürlich: die oben zitierten Werte basieren auf der christlichen Tradition, mit bescheidener Unterstützung durch die Aufklärung. Und noch steht der Beweis aus, dass selbige auch auf moslemischem Hintergrund wirklich zu realisieren sind. Trotzdem sind es Werte, die für sich stehen – ganz unabhängig davon ob jemand auf die Bibel schwört oder auf eine Stapel „Focus“-Ausgaben. Es sind Werte, die nicht einfach durch eine neu an die Macht kommende Religion ersetzt werden können.

Die ganze Aufregung um Keith Ellisons Zeremonie wäre überflüssig gewesen, wenn die Amerikaner ihre Volksrepräsentanten einfach auf ihre Verfassung schwören ließen. Auf die Grundwerte, die die gesamte Gesellschaft ausmachen. Auf den „common sense“.

Und vielleicht täten wir hier in Europa auch gut daran, statt einer Verchristlichung des Staates eine freiheitliche Grundordnung jenseits von weltanschaulichen Fragen voranzutreiben. Schließlich soll der Staat ja nicht für eine Verbreitung des christlichen Glaubens sorgen – so sehr ich mich über eine Verbreitung desselben freuen würde – sondern für gleiche Rechte für alle Menschen und Ansichten. Den Bezug auf den christlichen Glauben in einer Verfassung könnte irgendwann jemand ohne große Erklärungsnot durch seine eigene Ideologie ersetzen. Freiheit, Gleichheit und Toleranz aber kaum.

Bleibt nur eine letzte Frage: Darf ich das alles als Christ schreiben, ohne von meinen Mitchristen in freiheitlicher Toleranz gesteinigt zu werden?

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Kommentare

Ein Kommentar auf "Wenn der Staat auf Gott schwört…."

  1. bodenpersonal says:

    Mich wundert es immer noch wie „christlich“ die amerikanische Politik tut, obwohl sie alles versucht, um die Trennung zwischen Staat und Kirche zu gewährleisten. Zu Weihnachten sieht man ja immer wieder, welche seltsamen Blüten die Versuche treiben, christliche Symbolik aus dem öffentlichen Leben zu entfernen.

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